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10. Januar 2021, von Michael Schöfer
Eine verdammt schwere Aufgabe


Das war knapp, für einen Augenblick wankten die USA, aber die Pfeiler der Demokratie haben gerade noch so gehalten. Säße ein genauso skrupelloser, jedoch bedeutend klügerer Präsident im Weißen Haus, hätte es durchaus schiefgehen können. Zum Glück war es bloß - schlimm genug - der Trottel Donald Trump, ein gefährlicher Irrer mit einer für alle wahrnehmbaren narzisstischen Störung.

Das Phänomen Trump lässt sich nicht monokausal auf eine einzige Ursache zurückführen. Es gibt viele, die Schuld am Beinahe-Desaster haben: Die sozialen Medien (Facebook, Twitter), auf denen ein gereizter Ton dominiert und die nach außen hin abgeschottete Filterblasen erzeugen, in denen andere Ansichten kaum noch vorkommen. Es sind vor Hass triefende, sich selbst verstärkende Parallelgesellschaften. Aber auch aggressive, total einseitige und damit verantwortungslose Medien, allen voran der von Rupert Murdoch gegründete Nachrichtensender "Fox News".

Zu alldem kommen objektive Faktoren wie die ökonomische Situation. In keinem anderen Industriestaat ist das Einkommen und Vermögen so ungleich verteilt wie in den Vereinigten Staaten. Der Gini-Koeffizient ist ein Maßstab zur Darstellung von Ungleichverteilungen (je höher der Gini-Index, desto ungleicher ist die Verteilung). Laut Weltbank betrug der Gini-Index für die Vereinigten Staaten bei der Einkommensverteilung 41,1 (Stand 2016). Zum Vergleich: Deutschland 31,9. In den USA beträgt das Verhältnis der reichsten 10 Prozent der Bevölkerung zu den ärmsten 10 Prozent erschreckende 18,0 (Deutschland 6,9). Auf der Liste der Länder nach der Einkommensverteilung liegen die Vereinigten Staaten damit gleichauf mit dem zentralafrikanischen Tschad. [1]

Beim Gini-Index für die Vermögensverteilung ist es nicht anders: USA 85,2 (Stand 2019). Wobei Deutschland (81,6) diesbezüglich kaum besser dasteht als die Vereinigten Staaten, in Österreich (73,9) oder der Schweiz (70,2) ist das Vermögen überraschenderweise viel gerechter verteilt. [2]

Generell gilt, und das nicht bloß in den USA, sondern in allen Demokratien: Es ist die Erosion der Mittelschicht, die autoritäre Strömungen erst möglich macht. Insofern ist Donald Trump nicht die Krankheit, sondern lediglich das Symptom. Genau das macht es so gefährlich, weil Trump spätestens in 10 Tagen geht, aber die Situation vorerst so bleibt. Joe Biden muss das Land nicht nur mental, sondern auch ökonomisch wieder zusammenführen. Das eine bedingt das andere. Und das ist eine verdammt schwere Aufgabe.

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[1] Wikipedia, Liste der Länder nach Einkommensverteilung
[2] Wikipedia, Liste der Länder nach Vermögensverteilung