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20. Mai 2022, von Michael Schöfer
Wir sind die Gefangenen in Platons Höhle


Es gibt sie noch, die bewegenden Themen jenseits des Klimawandels und Ukraine-Kriegs. Nein, es ist nicht die aufwühlende gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Johnny Depp und Amber Heard, sondern das abermals entbrannte Ufo-Fieber. Nachdem die US-Regierung im vergangenen Jahr nach vorherigen Presseveröffentlichungen mit spektakulären Videoaufnahmen unidentifizierter Flugobjekte an die Öffentlichkeit ging, gab es jetzt eine Anhörung im Repräsentantenhaus. Meist werden vermeintliche Ufo-Sichtungen aufgeklärt und stellen sich als harmlos heraus, aber es gibt eben einen kleinen Rest, der sich bislang nicht zufriedenstellend erklären lässt. Was das Ganze so faszinierend macht, ist die keineswegs irreale Annahme, die unidentifizierten Flugobjekte könnten tatsächlich außerirdischen Ursprungs sein.

Nun soll man nicht überheblich in die "Das-ist-unmöglich"-Falle tappen, denn allzu häufig wurden solche kategorischen Aussagen durch die Realität widerlegt. Wie bitte, Sie fliegen mit einem 280 Tonnen schweren Airbus A350 in den Urlaub? Ach! Wann genau wurde die apodiktisch vorgetragene Überzeugung begraben, es würde sich nie etwas in die Lüfte erheben, das schwerer als Luft ist? (Lord Kelvin, Professor für theoretische Physik und Präsident der Royal Society, im Jahr 1895: "Schwerer als Luft? - Solche Flugmaschinen sind unmöglich.") Sehen Sie! In der Physik geben die Relativitäts- und die Quantentheorie unserem kausalen Verstand mehr Rätsel auf, als uns lieb sein kann. Es existiert zweifellos etwas, das wir jedoch mit unseren begrenzten geistigen Fähigkeiten, wenn überhaupt, nur unzureichend erfassen können. Wir sind wahrlich die Gefangenen in Platons Höhle. Behaupte also keiner, es gäbe keine Außerirdischen.

Gleichwohl muss man skeptisch sein und sollte alles kritisch hinterfragen. Falls die unidentifizierten Flugobjekte wirklich von Außerirdischen gesteuert wurden, woher kamen sie? Unterstellt, dass sich auch Aliens an die (uns zugegebenermaßen nur unvollständig bekannten) Naturgesetze halten müssen, setzen die gewaltigen Entfernungen im Universum und die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (theoretisch  erreichbare Maximalgeschwindigkeit 299.792.458 m/s) interstellaren Reisen enge Grenzen.
Proxima Centauri ist unser nächster Nachbarstern und 4,247 Lichtjahre vom Sonnensystem entfernt. Mit unserer heutigen Technik würden wir bis dahin rund 75.000 Jahre brauchen. Im Umkreis von 50 Lichtjahren gibt es zwar 971 extrasolare Systeme [1], doch soweit derzeit bekannt befinden sich dort lediglich 13 potenziell bewohnbare Exoplaneten in der habitablen Zone. [2] Statistische Wahrscheinlichkeit für intelligentes Leben: nicht sehr groß.

Interstellare Reisen dauern lang, weil man aus physikalischen Gründen nur mit einem Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit fliegen kann, zudem sind sie wegen der harten kosmischen Strahlung und den auf der Flugbahn befindlichen Staubteilchen gefährlich. Außerdem sind interstellare Reisen, was die ausgeklügelten Lebenserhaltungssysteme, die mitzuführenden Rohstoffe/Nahrungsmittel/Ersatzteile sowie die Robustheit der Ausrüstung angeht, extrem aufwändig. Das dürften, zumal für eine technologisch weit fortgeschrittene Zivilisation, keine unüberwindbaren Hindernisse sein, trotzdem wären sie selbst für eine solche vermutlich alles andere als trivial.

Mag sein, dass außerirdische Zivilisationen diese Probleme schon vor einer halben Ewigkeit gemeistert haben, uns demzufolge seit geraumer Zeit wie Zoobesucher neugierig beobachten und sich dabei gelegentlich von Kampfjetpiloten ertappen lassen. Who knows? Jede subjektive Meinung könnte objektiv falsch oder richtig sein, ich halte den Besuch von Außerirdischen auf der Erde allerdings für unwahrscheinlich, nicht zuletzt aus Gründen der Effizienz. Viel weniger aufwändig wäre nämlich eine Kontaktaufnahme per Funksignal. Oder die heimliche Beobachtung durch Sonden. Aber man kann natürlich nie etwas absolut ausschließen. Ich fürchte, dieses Rätsel wird uns noch länger beschäftigen.

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[1] Wikipedia, Liste der nächsten extrasolaren Systeme
[2] Wikipedia, Liste potentiell bewohnbarer Planeten