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26. Dezember 1983, von Michael Schöfer
Die Folgen eines Atomkrieges


1. Vorbemerkung

"Militärische Verteidigung muß - soll sie diesen Namen verdienen - stets eine Schutzfunktion beinhalten." [1]

Verteidigung muß also immer sinnvoll sein. Eine Verteidigung, die die Vernichtung der zu verteidigenden Güter nicht ausschließt, kann demgegenüber als sinnlos angesehen werden. Es gibt inzwischen nicht wenige Experten, die eine sinnvolle Verteidigung Westeuropas als unmöglich bezeichnen, solange man an der zur Zeit gültigen NATO-Strategie festhält. Grund dafür ist das Vorhandensein von irrational großen Vernichtungskapazitäten in den Arsenalen der Bündnisse, die, wenn sie zum Einsatz kämen, zumindest Europa in eine radioaktive Wüste verwandeln würden.

Beide Supermächte (USA, UdSSR) verfügen zusammen über ungefähr 36.000 bis 48.000 Sprengköpfe mit einer Sprengkraft von ca. 1.000 bis 19.000 Megatonnen, also rund eine Million Mal Hiroshima. Nach Schätzungen entfallen ca. 60 Tonnen Sprengkraft auf jeden Einwohner der NATO und des Warschauer Pakts, 3 bis 12 Tonnen auf jeden Erdbewohner. Es gibt auf der Erde mehr Waffen als Nahrungsmittel. Die weltweiten Militärausgaben betrugen 1981 600 bis 650 Milliarden US-Dollar (1,6 bis 1,8 Billionen DM). Trotz einer weltweit sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage stieg ihr Volumen um eine jährliche Zuwachsrate von 3 Prozent, mit ansteigender Tendenz.

Die Widersprüche der Abschreckung und die sukzessive Vorbereitung auf das Führen eines Atomkrieges lassen einen Zusammenbruch des heute in etwa stabil zu nennenden Abschreckungssystems bereits in diesem Jahrhundert möglich erscheinen. Nicht umsonst trat Anfang der achtziger Jahre in allen westeuropäischen Ländern eine starke Friedensbewegung auf. Selbst in den kommunistischen Staaten wurden immer mehr Zweifel an der nuklearen Abschreckung geäußert, wobei allerdings die Regierungen des Warschauer Pakts ein Anwachsen der östlichen Friedensbewegung auf westliches Niveau durch repressive Maßnahmen verhindern konnten. Wenn auch bisher weder die westliche noch die östliche Friedensbewegung ihr gemeinsames Ziel, Abrüstung in Ost und West, erreicht haben, ihre Argumente werden dadurch nicht entkräftet.

Leider gibt es immer noch viele Menschen, die die Folgen eines Atomkrieges nicht abschätzen können. In zahlreichen Gesprächen konnte ich diese Feststellung treffen. Entweder verdrängen die meisten die Gefahr, oder eine fast vierzigjährige Periode der Abwesenheit von Gewalt (Krieg) hat ihre Urteilskraft gemindert. Wie gefährlich ist doch die trügerische Sicherheit, in der sie sich wiegen. Was 40 Jahre gut ging, braucht nicht auch die nächsten 40 Jahre gut zu gehen. Genausowenig kann ein Autofahrer nach 25 unfallfreien Jahren davon ausgehen, daß die nächsten 25 Jahre ebenfalls unfallfrei vorübergehen. Vor allem dann, wenn die Verkehrsverhältnisse durch immer rücksichtslosere Verkehrsteilnehmer zunehmend chaotischer werden.

Uns fehlt (zum Glück) das Beispiel eines allgemeinen nuklearen Schlagabtauschs der Supermächte, von dem wir lernen könnten. Nach einem solchen wird es aber mit Sicherheit niemanden geben, der dazu imstande wäre. Die von Wissenschaftlern durch langjährige Forschung ermittelten Ergebnisse kommen dennoch der Wirklichkeit, soweit man dies heute beurteilen kann, sehr nahe. Mögen auch die Folgen eines Atomkrieges nicht hundertprozentig dem entsprechen, was ich schildern werde, Unsicherheiten beeinflussen die Lage nicht zum Positiven. Die Realität wird eher noch schrecklicher und grausamer sein.

Einige könnten mir vorwerfen, ich wollte die Menschen nur verängstigen, darauf möchte ich kurz eingehen. Angst, so sagt man, wäre ein schlechter Ratgeber. Keineswegs, wer Angst hat vor dem Abgrund, wird wohl kaum hineinspringen. Wer keine Angst hat, wird eines Tages den Sprung wagen - es wird seine letzte Erfahrung sein. Angst verhindert, daß wir uns unnötig in Lebensgefahr begeben, sie erfüllt also ihren Zweck und ist uns von der Natur als Überlebenshilfe mitgegeben worden. Angst ist ein natürlicher Bestandteil der menschlichen Psyche. Außerdem muß man generell zwei Arten von Angst unterscheiden: die lähmende (nicht die, die ich meine) und die produktive Angst.

"Eine Gesellschaft, die sich systematisch weigert, zu erkennen, daß ihr physisches Überleben unmittelbar in Frage steht, und die keinen Schritt zu ihrer Rettung unternimmt, kann nicht als psychisch gesund bezeichnet werden." [2]

Angst kann also ein produktiver Faktor in der politischen Landschaft sein, produktiv in dem Sinne, daß noch mehr als bisher aus ihrer Wohlstandslethargie herausgerissen werden und gegen den Rüstungswahn aufbegehren. Wer die Gefahr erkennt, wer sich über ihr Ausmaß klar geworden ist, wird nicht mehr ruhen, bis sie beseitigt ist. Angst vor dem drohenden nuklearen Holocaust, gepaart mit kritischer Vernunft, ist die Voraussetzung für die dringend notwendige Umkehr, die Umkehr zum Leben. Ich bekenne mich zu meiner Angst. Angst gerade vor jenen Politikern und Militärs, die scheinbar seelenruhig im Schatten der Bombe schlafen können, denen das Gefühl der Angst völlig abhanden gekommen sein muß. Angstlose ängstigen mich. Oder sollte man vor gewissenlosen Strategen, die den gewinnbaren Atomkrieg einplanen, keine Angst haben?

Die Menschheit kann sich keinen Atomkrieg leisten, es darf nie dazu kommen. Sie kann nur überleben, wenn sie zu einem kollektiven Sicherheitssystem findet, in dem die Anwendung oder der Besitz von Atomwaffen ausgeschlossen ist.

2. Wirkung eines Atomschlags auf Mannheim und Umgebung

Gehen wir davon aus, über Mannheim würde ein Ein-Megatonnen-Sprengkopf gezündet, also das achtzigfache der Hiroshima-Bombe. Im folgenden möchte ich, um die Dimensionen einer solchen Katastrophe deutlich zu machen, als Explosionsort (Nullpunkt) den Paradeplatz nehmen. Vielleicht werden die Auswirkungen einer Nuklearexplosion auf eine Stadt für den einzelnen besser erfaßbar, wenn sie seine Heimatstadt ist.

2.1 Hitzestrahlung

Das erste, was man in Mannheim und Umgebung wahrnehmen würde, wäre ein blendender, grell weißer Lichtblitz. Dieser Lichtblitz ist stark genug, um Menschen an einem klaren Tag noch in einer Entfernung von 21 km, in einer klaren Nacht noch in 85 km kurzzeitig erblinden zu lassen. Sehen die Menschen direkt in den Lichtblitz, d.h. wird dieser durch die Augenlinse gebündelt, erblinden die betroffenen Personen für immer. Die Blendwirkung träte also noch knapp hinter Heidelberg (am Tag) oder Frankfurt/Main (bei Nacht) auf. Die Nacht würde zum Tag und für nicht wenige zum Beginn der immerwährenden Finsternis.

Das Licht wird von der Oberfläche des Feuerballs abgestrahlt, der sich sofort nach der Explosion der Bombe auszubreiten beginnt. Innerhalb weniger Sekunden erreicht er einen Durchmesser von 1,5 km. In ihm liegt die Temperatur in einer Größenordnung von 10 Millionen Grad Celsius. Würde sich jemand zum Zeitpunkt der Explosion in Neuostheim aufhalten, also ca. 3 km vom Nullpunkt entfernt, könnte er über die Geschehnisse in seiner unmittelbaren Umgebung folgendes berichten:

"Ungefähr 30 Sekunden lang erhellt der Feuerball den Schauplatz mit einem blendendweißen Licht. Gleichzeitig entzündet eine sengende Hitze jeden brennbaren Gegenstand und bringt Fenster, Autos, Laternenpfähle, kurz, sämtliche Gegenstände aus Metall oder Glas zum Schmelzen. Die Menschen auf der Straße werden augenblicklich zu lebenden Fackeln, die binnen kurzem verkohlt sind." [3]

Niemand wird je eine solche Schilderung abgeben, weil man in dieser geringen Entfernung zum Nullpunkt nicht überleben könnte.

Die Explosion kann in einer Entfernung von 11 km Verbrennungen ersten Grades (vergleichbar mit einem schweren Sonnenbrand), in einer Entfernung von 10 km zu Verbrennungen zweiten Grades (sie führen zu Blasen, die unbehandelt Infektionen und Narbenbildungen nach sich ziehen) und in einer Entfernung von 8 km zu Verbrennungen dritten Grades (tiefgreifende Zerstörung von Hautgewebe) führen. Sind 24 Prozent der Hautoberfläche von Verbrennungen dritten Grades bzw. 30 Prozent von Verbrennungen zweiten Grades betroffen, so erleidet der Betroffene einen schweren Schock, der ohne hochspezialisierte medizinische Hilfe wahrscheinlich zum Tode führt. In der Bundesrepublik stehen, lt. Auskunft der BG-Unfallklinik in Ludwigshafen-Oggersheim, 51 Plätze (plus ca. 20 Kinderbetten) für die Behandlung solcher Verbrennungen zur Verfügung. Bei einer einzigen Atomexplosion werden aber zigtausend solcher Fälle auftreten. Mit anderen Worten: den meisten Verbrennungsopfern könnte nicht geholfen werden.

Würde die Bombe auf oder dicht über dem Boden gezündet, reißt sie einen Krater von 500 m Durchmesser und 90 m Tiefe auf. Alles, was sich innerhalb oder dicht neben dem Feuerball befindet, wird zunächst pulverisiert, dann geschmolzen oder verdampft. Bei einer Bodenexplosion würden sich sämtliche Gegenstände in einem Bereich von 2 bis 3 km praktisch in Nichts auflösen. Der nach oben steigende Feuerball nähme sie in sich auf, um sie nach einer Weile als radioaktiven Niederschlag in die Umgebung abzugeben.

Die enorme Hitzewelle wird bei Menschen, die sich im Freien aufhalten, zu schweren Verbrennungen führen. In Brühl noch zu Verbrennungen ersten Grades, in Frankenthal zu Verbrennungen zweiten Grades und in Seckenheim zu Verbrennungen dritten Grades. Menschen im Freien können sich kaum vor der Hitze schützen, aber selbst die in Bunkern befindlichen Menschen würden schlecht geschützt sein. Nahe dem Nullpunkt verdampfen Bunkerwände sofort, in einiger Entfernung werden Bunker zu Krematorien. In Bereichen, in denen die direkte Hitzestrahlung einem Bunker nichts anhaben kann, führen die von der Explosion entfachten Feuerstürme oder Flächenfeuer für viele Menschen zum Tod, weil die Feuerstürme oder Flächenfeuer den in Bunkern ausharrenden Menschen jeglichen Sauerstoff nehmen - sie ersticken. Solche Erfahrungen konnte man schon im II. Weltkrieg machen, die bekanntesten Beispiele sind Städte wie Hamburg, Dresden, Tokio oder Hiroshima. In Hiroshima z.B. wütete der Feuersturm 6 Stunden lang.

Noch in einer Entfernung von 11 km zum Nullpunkt sterben 20 Prozent der dort lebenden Bevölkerung allein an den Folgen der Hitzestrahlung und den darauffolgenden Bränden. Übertragen auf die Mannheimer Landkarte sieht das folgendermaßen aus: Im südlichen Lampertheim, in Ladenburg, Brühl und Ludwigshafen-Ruchheim sterben 20 Prozent der Einwohner. Näher zum Nullpunkt hin werden die Prozentzahlen wesentlich höher. In Rheinau, Ludwigshafen-Maudach, Blumenau oder Ilvesheim sterben wohl die meisten Menschen, die sich im Freien aufhalten und demzufolge schwerste Verbrennungen erleiden. In Neckarau könnten selbst die in Bunkern untergebrachten Menschen nicht auf große Überlebenschancen hoffen. In der Innenstadt, Oststadt, Neckarstadt oder der Ludwigshafener City wäre die Lage für alle hoffnungslos.

2.2. Direkte Kernstrahlung

Manche werden sich sicherlich schon wundern, warum ich die sofort nach Beginn der Explosion einsetzende intensive radioaktive Strahlung bisher nicht berücksichtigt habe. Ganz einfach, im Umkreis der direkten Strahlung der Bombe (etwa 2,5 km zum Nullpunkt) überlebt ohnehin kein Lebewesen. Allein die Hitzestrahlung und die Druckwelle töten in diesem Bereich, und darüber hinaus, alle Einwohner. Im Umkreis von 4,3 km gäbe es nach einer Ein-Megatonnen-Explosion praktisch keine Überlebenden. Die direkte Kernstrahlung (oder auch radioaktive Anfangsstrahlung) macht bei einer Kernexplosion nur 5 Prozent der gesamten Explosionsenergie aus, während die Druckwelle 50 und die Hitzestrahlung 35 Prozent der Explosionsenergie ausmachen. Aus vorgenannten Gründen gehe ich auf die direkte Kernstrahlung nicht näher ein.

2.3 Druckwelle

Die größte unmittelbare Wirkung auf die nähere Umgebung zeigt, neben der Hitzestrahlung, zweifellos die enorme Druckwelle. Sie übt auf Flächenziele (Städte, Industrieanlagen) die größte Zerstörungswirkung aus. "Die Druckwelle verdrängt Luft vom Explosionsort und erzeugt damit eine plötzliche Luftdruckveränderung (statischer Überdruck), die in der Lage ist, Objekte zu zermalmen; sie erzeugt ferner starke Winde (dynamischer Druck), die Objekte erschüttern oder umstürzen können. Große Gebäude werden im allgemeinen durch den Überdruck zerstört, Menschen und Gegenstände wie Bäume und Masten hingegen durch den dynamischen Druck." [4]

Der Überdruck beträgt in einer Entfernung von 7 km zum Nullpunkt 0,35 atü, er wird auf die Wand eines durchschnittlichen zweistöckigen Wohnhauses eine Kraft von 180 Tonnen ausüben und es unweigerlich zum Einsturz bringen. Selbst 0,07 atü haben leichte Gebäudeschäden zur Folge, was noch 18 km vom Explosionsort der Fall sein kann. 0,35 atü reichen zwar nicht aus, einen Menschen zu töten, jedoch führen 7 km vom Nullpunkt entfernt Windgeschwindigkeiten von 255 km/h zu tödlichen Zusammenstößen von Menschen und Gegenständen.

Doch gehen wir der Reihenfolge nach vor. Im Umkreis von 1,3 km werden Stahlbetonbauten dem Erdboden gleichgemacht, es herrschen Windgeschwindigkeiten von 750 km/h. In der ganzen Schwetzingerstadt bliebe kein Stein auf dem anderen, Bunker in der Neckarstadt würden förmlich zerfetzt. 4,8 km vom Nullpunkt wird ein Überdruck von 0,7 atü Fabrikgebäude zum Einsturz bringen, Windgeschwindigkeiten von 465 km/h verteilen die Trümmer weit in der Umgebung. Die Firma Daimler-Benz würde von ihren Produktionsanlagen in Mannheim-Waldhof nicht mehr viel vorfinden. Bis 7,5 km werden typische Wohngebäude vollständig zerstört, bis 9,5 km schwer beschädigt. In den Ortsteilen Vogelstang, Sandhofen und Schönau wären sämtliche Wohngebäude zerstört, in Viernheim, Ladenburg und Frankenthal schwer beschädigt. In Weinheim, Heidelberg, Worms und Speyer würden noch leichte Gebäudeschäden zu verzeichnen sein, Einwohner durch umherfliegende Trümmer und Glas verletzt. Bei Überlebenden könnte man häufig Knochenbrüche, Quetschungen und tiefe Fleischwunden registrieren. Tote, und die gäbe es in Massen, wären oft bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

2.4 Radioaktiver Niederschlag (Fallout)

Doch damit nicht genug. Als weitere Folge der Explosion tritt radioaktiver Niederschlag auf, dessen Folgen auf die Umgebung von verschiedenen Faktoren abhängen. Eine Kernexplosion auf dem Boden führt zu wesentlich mehr Fallout als eine Luftexplosion. Die Verteilung der radioaktiven Teilchen ist stark von der örtlichen Wetterlage (Windstärke, Windrichtung) abhängig. Man kann davon ausgehen, daß in einem Bereich bis zu 100 km alle Menschen im Freien sowie in einem Bereich von 25 bis 50 km alle Menschen in Gebäuden getötet werden. Bei gleichbleibender Windgeschwindigkeit und Windrichtung wird das betroffene Gebiet ungefähr die Form einer Ellipse haben.

"Die Strahlungsstärke des Fallout nimmt im Laufe der Zeit mit dem Zerfall der radioaktiven Elemente ab. Jedes Element hat seine eigene Zerfallsrate. Schnell zerfallende Elemente geben in kurzer Zeit eine hohe Strahlendosis ab, während langsamer zerfallende Stoffe weniger stark, dafür aber länger strahlen. Unmittelbar nach dem Niedergehen des Fallouts wird die Strahlung in der Umgebung der Explosion äußerst intensiv sein, da die kurzlebigen Elemente zerfallen. Diese intensive Strahlung nimmt relativ schnell ab." [5]

Bis ca. 150 km zum Explosionsort (bei einer Windgeschwindigkeit von 24 km/h) wäre das vom Fallout betroffene Gebiet, gemessen an dem in Friedenszeiten geltenden Standard, erst nach 10 Jahren wieder strahlensicher, ein Bereich von 150 bis 400 km nach zwei bis drei Jahren. (Zugrundegelegt wurde eine Bodenexplosion.)

"Einige radioaktive Teilchen werden in die Stratosphäre geschleudert und fallen erst nach einigen Jahren zur Erde zurück. In diesem Fall stellen nur die ausgesprochen langlebigen Elemente eine Bedrohung dar. Sie würden über einige Breitengrade verteilt um die ganze Erde herum niedergehen." [6]

Noch heute kann man den Fallout amerikanischer und sowjetischer Bombentests der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre nachweisen, und es gibt auf der ganzen Welt nicht einen einzigen Menschen, in dessen Körper man nicht solche radioaktiven Elemente finden würde.

Die kurzfristigen Wirkungen einer erhöhten Strahlendosis auf den Menschen sind folgende:
  • Starke Dosen von 5.000 bis 8.000 rem schädigen das Zentralnervensystem, es folgt Übelkeit, Erbrechen, Bewußtlosigkeit und schließlich der Tod noch am gleichen Tag.
  • Bei einer Dosis von 800 bis 2.000 rem werden die Schleimhäute des Magen-Darm-Trakts zerstört, es kommt zu Übelkeit, Erbrechen und schweren Durchfällen. Der Tod erfolgt nach einigen Tagen.
  • Bei einer Dosis zwischen 300 und 500 rem steht die Schädigung der blutbildenden Organe im Vordergrund. Es kommt zur Verminderung der Zahl der roten und weißen Blutkörperchen, sowie der Blutplättchen. Sinkt die Zahl der Blutplättchen unter den kritischen Wert, so kommt es zu Blutungen aus dem Mund, Nase und anderen Körperöffnungen. Charakteristisch sind auch flächenhafte Blutungen unter der Haut. Eine Dosis von 400 rem wird als semiletale Dosis des Menschen bezeichnet, d.h. 50 Prozent aller Menschen, die eine solche Dosis (Ganzkörperdosis) erhalten haben, können - zunächst - überleben. Bei allen Strahlenkranken kommt es zu starkem Haarausfall.
Zur Erläuterung:

"Das rem (Abkürzung für Röntgen equivalent man) ist ein Maß für den biologischen Schaden, den radioaktive Strahlung anrichtet. (...) Die natürliche Hintergrundstrahlung in Meereshöhe beträgt 0,075 rem (75 Millirem) pro Jahr, und bei einer Röntgenuntersuchung der Lunge nimmt man etwa 0,01 rem (10 Millirem) auf. Schon bei einer Jahresdosis von zwei rem ist mit der Zunahme von Krebserkrankungen zu rechnen; bei fünfzig rem pro Jahr sind auch Fälle von Strahlenkrankheit zu erwarten." [7]

Eine gleichbleibende Windstärke von 24 km/h vorausgesetzt, nimmt man innerhalb von 7 Tagen in einem Bereich von 75 km 3.000 rem, von 150 km 900 rem, von 300 km 300 rem und von 400 km 90 rem auf. (Bodenexplosion 1 Mt Sprengkraft.)

Nach einer Verstrahlung treten auch langfristige Schäden auf.

"Sehr bekannt, weil äußerlich sichtbar, sind die als Keloide bezeichneten Narbengeschwülste, die sich an der Haut aus Verbrennungsnarben gebildet haben. (...) Keloide erreichen oft ein gigantisches Ausmaß. Bei vielen Patienten (in Hiroshima/Anm. d. Verf.) war der Rücken vollständig mit Keloiden bedeckt. Sie litten an ihrer hochgradigen Entstellung, doch führen Keloide an den Extremitäten auch zu hochgradigen Einschränkungen der Beweglichkeit." [8]

Eine besonders typische Strahlenschädigung ist die Kataraktbildung am Auge, auch grauer Star genannt. Beim grauen Star kommt es zur Trübung der Augenlinse und zur Erblindung der betroffenen Personen. Die weitaus schwerwiegendsten Spätfolgen einer Nuklearexplosion sind aber bösartige Wucherungen des Knochenmarks (Leukämie) und anderer Formen von Krebsgeschwülsten. Eine weitere Spätfolge ist die vorzeitige Alterung des Organismus, die sich in einer Verkürzung der Lebensdauer äußert. Weiterhin ist zu befürchten, daß genetische Schäden auftreten, was zu Mißbildungen bei Neugeborenen führt, auch bei solchen, die zum Zeitpunkt der Explosion noch nicht gezeugt worden sind.

Ziehen wir Bilanz:
  • Durch die beiden stärksten direkten Auswirkungen einer Ein-Megatonnen-Explosion über dem Paradeplatz, also der Hitzestrahlung (incl. Brände) und der Druckwelle, sterben in einem Umkreis von 4,3 km (Neckarau, Neuostheim, Feudenheim, Käfertal, Oststadt, Innenstadt, Neckarstadt) so gut wie alle Einwohner.
  • Im Umkreis von 7 km (Sandhofen, Waldhof, Gartenstadt, Vogelstang, Seckenheim, Hochstätt) überleben nur 50 Prozent.
  • Bis 11 km vom Nullpunkt (Viernheim, Heddesheim, Ladenburg, Friedrichsfeld, Brühl) finden noch 25 Prozent den Tod.
  • In Bürstadt, Weinheim, Eppelheim und Oftersheim (ca. 17 km entfernt) werden 35 Prozent verletzt.
Der radioaktive Niederschlag wird in den Gebieten, in denen er niedergeht, die Überlebensrate deutlich vermindern und Überlebende langfristig schädigen. Auch das Zusammentreffen (Synergismus) mehrerer Schädigungen kann einen wesentlichen Einfluß auf die Verluste haben. Personen, die nur von einer der drei Explosionswirkungen (Hitzestrahlung, Druckwelle und Kernstrahlung) betroffen sind, könnten überleben. Es wäre jedoch fraglich, ob sie bei einer mehrfachen Schädigung davonkommen würden. Ein Beispiel: Das Blut eines Brandopfers, das einer Strahlendosis von 100 rem ausgesetzt wird, verliert die Fähigkeit, die Heilung von Brandwunden zu unterstützen. Die Kernstrahlung und die Verbrennungen brauchen für sich allein nicht tödlich zu sein, ihr Zusammentreffen kann aber für das Opfer fatale Folgen haben.

Hilfe für die Mannheimer Bevölkerung könnte nur von außen kommen, da alle Hilfseinrichtungen in der Stadt und der näheren Umgebung zerstört oder funktionsunfähig wären. Krankenhäuser, die sich relativ nahe am Nullpunkt befinden (Klinikum der Stadt Mannheim, Theresien-Krankenhaus, Orthopädische Klinik, Diakonissen-Krankenhaus, Heinrich-Lanz-Krankenhaus), könnten keine Hilfe geben. Sanitäter, Ärzte und Krankenschwestern wären tot, Medikamentenvorräte vernichtet. Alle Versorgungssysteme (Strom, Wasser, Gas und Fernwärme) wären unterbrochen. Kommunikationseinrichtungen (Telefon) und Transportsysteme ausgefallen, Schutzunterkünfte für Verletzte nicht vorhanden.

Alles in allem würden von den ungefähr 300.000 Einwohnern der Stadt Mannheim vielleicht nur wenige Tausend überleben. Und dennoch ist ein solches Szenario harmlos gegen das eines Angriffs auf die gesamte Bundesrepublik - und lächerlich angesichts eines weltweiten Nuklearkriegs.

3. Auswirkungen eines Atomkriegs auf die BRD, Europa und die Welt

Die Überlebenden von Mannheim bekämen sicherlich noch Hilfe von außen, bei einem Atomschlag gegen die ganze Bundesrepublik ist Hilfe nicht mehr zu erwarten.

"Die zehn größten Städte der Bundesrepublik Deutschland, von West-Berlin (1,9 Millionen Einwohner) bis zu Duisburg (570.000), haben eine bewohnte Gesamtfläche von etwa 3.190 qkm, ihre 9,5 Millionen Einwohner machen rund 15 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung aus. 25 Atombomben von je 1 Megatonne (Mt) würden diese zehn Städte total zerstören und ihre Einwohner fast alle töten. (...) Der wahrscheinliche Umfang eines Nuklearangriffs gegen die Bundesrepublik dürfte jedoch sechsmal größer sein; samt den entsprechenden Folgen: denn es würden etwa 150 Atomwaffen dieses Kalibers abgefeuert werden. Die Bundesrepublik würde total zerstört." [9]

Woher sollte noch Hilfe kommen? Ein Atomangriff bliebe mit Sicherheit nicht auf die Bundesrepublik beschränkt. Für die zehn größten Städte Großbritanniens (12 Millionen Einwohner = ein Viertel der Gesamtbevölkerung) würden 23 Atomwaffen von je einer Megatonne Sprengkraft ausreichen, um alles auszulöschen. Wahrscheinlich regnen aber im Ernstfall 140 solcher Bomben auf Großbritannien herab. Frankreich und Italien, fast allen europäischen Staaten erginge es ähnlich. Die alte Welt läge in Schutt und Asche.

"Keine einzelne Nation hat bislang eine so vollständige Zerstörung hinnehmen müssen, wie dies der Fall bei jenen Völkern wäre, die Opfer eines Atomangriffs würden. Es erscheint höchstwahrscheinlich, daß der Wiederaufbau die Überlebenden vor eine nicht nur gewaltige, sondern nahezu hoffnungslose Aufgabe stellen würde: Die industrielle Infrastruktur vielleicht des gesamten Kontinents wäre größtenteils vernichtet, die städtischen Zentren verwüstet, Transport- und Energiesysteme sowie Schlüsselindustrien lägen in Trümmern, große landwirtschaftliche Flächen wären radioaktiv verseucht; die umliegenden Regionen, die Hilfe leisten könnten, alle zerstört. Die angegriffenen Nationen würden sicherlich als moderne Industriestaaten aufhören zu existieren, allenfalls wären sie "Miniaturausgaben" von solchen. Mit dem vernichteten physisch-materiellen und kulturellen Erbe wäre auch die nationale Identität dahin. Von den Überlebenden wären viele verletzt, sie fänden sich außerdem in einer verwüsteten Umwelt wieder. Sie würden sich um die verbliebenen Vorräte an Nahrungsmitteln, Energie, Brennstoff, Arznei oder sonstigen zur Weiterexistenz unabdingbar notwendigen Dinge streiten. Mit den schwindenden Resten dieser Mittel würde sich ihre Not beträchtlich vergrößern. Die Überlebenden befänden sich in einem bösen Wettlauf, um die Produktionsmittel für Nahrung und andere notwendige Dinge wiederherzustellen oder zu reparieren, um eine den Umständen entsprechende, halbwegs adäquate Industriekapazität sowie Transportmittel zu schaffen, ehe die überlebensnotwendigen Vorräte sich erschöpfen. Die Lösung dieser ungeheuer schwierigen Aufgabe würde darüber hinaus erschwert durch das immense psychische Trauma, an dem die Überlebenden leiden würden angesichts der beispiellosen Zerstörung um sie herum, angesichts des Verlustes der vertrauten Lebensumstände und der schrecklichen Zukunftsaussichten." [10]

Die vor dem Krieg bestehenden Gesellschaftsformen würden zusammenbrechen, Anarchie, Barbarismus und Totalitarismus könnte sich ungehindert ausbreiten. Im Kampf um die Reste der Zivilisation wäre das Recht des Stärkeren das einzige Überlebenskriterium - Sozialdarwinismus in Reinkultur. Längst überwunden geglaubte Krankheiten (Pest) würden zurückkehren und die Menschheit erneut heimsuchen, so wie dies im Mittelalter der Fall gewesen ist. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, daß die Industrienationen sich in einen Atomkrieg gegenseitig auf die Stufe der Steinzeit zurückbomben.

Man kann davon ausgehen, daß ein weltweit geführter Nuklearkrieg alle Staaten der nördlichen Halbkugel verwüstet. In einem solchen kämen Zehntausende von Sprengköpfen unterschiedlichen Kalibers zum Einsatz. Weil viele auf militärische Ziele abgefeuert würden (Raketensilos, unterirdische Befehlszentralen), die man aber mit Luftexplosionen nicht zerstören kann, gäbe es viele Bodendetonationen. Die Folge: Riesige Mengen radioaktiven Niederschlags, der sich über die ganze Erde verteilt. Ein 1.000-Megatonnen-Angriff auf die USA erzeugt überall im Land einen Strahlungspegel von 10.000 rem, in der übrigen Welt sähe das nicht viel besser aus. Letztendlich geht es gar nicht darum, wieviel Menschen durch die unmittelbare Einwirkung der Bomben verstrahlt, verbrannt oder zerschmettert werden. Es geht vielmehr um die Frage, wie gut die Ökosphäre, von der das Weiterleben sämtlichen Lebens abhängt, den Atomkrieg übersteht.

"Es geht um die Bewohnbarkeit der Erde. An dieser Frage, und nicht an der, wie viele hundert Millionen Menschen den lokalen Effekten unmittelbar zum Opfer fallen, entscheidet sich menschliches Überleben." [11]

Könnte sich jemand tief genug in die Erde vergraben und dort lange genug ausharren, würde er, an die Oberfläche zurückgekehrt, eine sterbende Umwelt vorfinden.

Zu den zwei schädlichsten Elementen des radioaktiven Niederschlags gehören Strontium-90 und Cäsium-137. Strontium-90 hat eine Halbwertzeit von 28 Jahren, Cäsium-137 eine von 30. Halbwertzeit ist die Zeit, in der die Radioaktivität auf die Hälfte des ursprünglichen Wertes sinkt. Beide Stoffe gelangen in die Nahrungskette (Pflanze, Tier, Mensch) und verseuchen die Umwelt sozusagen von innen her. Strontium-90 lagert sich in den Knochen ab, wo es Knochenkrebs verursacht. Cäsium-137 wird im Muskelgewebe und in den verschiedensten Organen gespeichert. Da es auch in die Keimdrüsen eindringt, kommt es zur Bestrahlung der Keimzellen, was zu genetischen Schäden führt.

Man weiß inzwischen, welche Dosis für die einzelnen Lebewesen zum Tode führt. Rinder auf der Weide würden bei 180 rem sterben, Schafe bei 240 rem, Schweine bei 550 rem, 350 rem reichen für Pferde und 800 rem für Geflügel. Die meisten Säugetiere müßten sterben. Fische verenden bei Dosen von etwa 1.100 bis 5.600 rem, jedoch sind bei ihnen präzise Aussagen über ihre Überlebenschancen nicht möglich. Einerseits schützt Wasser vor Radioaktivität, andererseits konzentriert sich letztendlich der aus dem Boden herausgewaschene radioaktive Niederschlag in den Gewässern. Tierarten, die zunächst überleben könnten, fänden sich nur in der Klasse der Insekten. Ihre tödliche Dosis liegt in den meisten Fällen zwischen 2.000 und 100.000 rem. Zum Nachteil für die Umwelt haben gerade die gefräßigsten Pflanzenfresser unter ihnen eine recht hohe Strahlungsunempfindlichkeit. Aus diesem Grund würden Insekten in unverhältnismäßig großer Anzahl überleben und sich ausgesprochen stark vermehren. Der Tod ihrer natürlichen Feinde, der Vögel, wird zu ihrem Siegeszug beitragen.

Pflanzen besitzen im allgemeinen höhere Toleranzen gegenüber radioaktiver Strahlung als Tiere. Eine Strahlendosis von 10.000 rem würde aber langfristig den größten Teil der Vegetation vernichten. Größere Pflanzen sind strahlungsanfälliger als kleine. Bäume (80 Prozent sterben bei Dosen zwischen 2.000 und 8.000 rem, der Rest bis zu 10.000 rem) würden deshalb zuerst sterben, Gräser als letzte. Gräser sind relativ unempfindlich gegenüber Strahlung, ihre tödliche Dosis liegt hauptsächlich in einem Bereich zwischen 6.000 und 33.000 rem. Ausgenommen an den Explosionsorten, wo sie durch Hitzestrahlung verbrennen würden, könnten also Gräser zu einem hohen Prozentsatz überleben. Nach einem Atomkrieg sind mit Sicherheit tiefgreifende Einschnitte in die Ökosphäre zu erwarten. Am Ende könnte die Erde ein von Gräsern und Insekten beherrschter Planet sein.

Wahrscheinlich ist die radioaktive Verstrahlung nicht die einzige Art der Beeinträchtigung unserer Umwelt. Die Explosionen verursachen ungeheure Mengen an Rauch und Staub, was den Himmel verdunkeln würde. Nach neuesten Erkenntnissen könnte das zu einem Absinken der Durchschnittstemperaturen auf der gesamten Erde führen. Die extremsten Voraussagen lassen ein Absinken der Durchschnittstemperatur auf minus 30 Grad Celsius befürchten. (Nuklearer Winter.) In diesem Fall dringt weniger als ein Prozent der normalen Lichtstärke zum Erdboden durch. Keiner kann sich ausmalen, was es bedeutet, für einen längeren Zeitraum weltweit den gleichen Bedingungen wie am Nord- und Südpol unterworfen zu sein. Selbst wenn die Durchschnittstemperaturen nur um einige Grade sinken, hat das weitreichende Konsequenzen. Nur ein Grad Abkühlung bringt den Weizenanbau in Kanada zum Erliegen, was sich auf die Welternährungslage katastrophal auswirkt.

Wenn manche Überlegungen auch scheinbar übertrieben sind, darf man versichert sein, daß ein Atomkrieg in jedem Fall erhebliche klimatische Veränderungen (Klimaschock) bewirkt. Art und Ausmaß sind allerdings schwer vorhersehbar. Man nimmt an, daß durch ihn auch die lebenswichtige Ozonschicht zerstört wird. Das hat ein erhebliches Anwachsen der biologisch schädlichen UV-Strahlung zur Folge, Schätzungen reichen vom sechs- bis hundertfachen der normalen Strahlungsintensität. Menschen und Tiere könnten erblinden, Pflanzen absterben. Keiner könnte sich ohne Schutzmaßnahmen länger als ein paar Minuten im Freien aufhalten. Die Ozonschicht könnte auf Jahre hinaus nicht den erforderlichen Schutz bieten.

Liest man das alles, drängt sich einem unwillkürlich die Frage auf: Wieviel von dem, was wir gewöhnt sind, würden wir noch antreffen? Ich glaube, diese Frage kann sich inzwischen jeder selbst beantworten.

Fassen wir also zusammen und bilden uns ein Urteil:

"Bedenken wir einmal die möglichen Folgen der Detonation von Tausenden von Megatonnen atomarer Explosivkraft -

das Erblinden von Insekten, Vögeln und Säugetieren überall auf der Erde;
das Aussterben vieler Meerestiere, von denen einige am Anfang der Nahrungskette stehen;
die zeitweilige oder dauerhafte Veränderung des Erdklimas, was im äußersten Falle zu "dramatischen" und "tiefgreifenden" Veränderung im Aufbau der Atmosphäre führen könnte;
die Verseuchung der gesamten Ökosphäre mit Stickoxyden;
das Auftreten schwerster Verbrennungen bei allen Menschen, die dem Sonnenlicht zehn Minuten lang ungeschützt ausgesetzt wären;
das Erblinden der Menschen, die sich längere Zeit in der Sonne aufhalten;
einen erheblichen Rückgang der Photosynthese bei allen Pflanzen auf der Erde;
das Verdorren und Absterben vieler Nahrungspflanzen;
die Zunahme von Krebserkrankungen und Mutationshäufigkeit überall auf dem Erdball, besonders aber in den Zielgebieten;
die erhöhte Gefahr von weltweiten Epidemien;
die mögliche Vergiftung aller Wirbeltiere durch extreme Zunahme von Vitamin D in der Haut infolge erhöhter ultravioletter Strahlung;
schließlich Massensterben fast aller Menschen und sonstigen Lebewesen in den betroffenen Kontinenten durch anfängliche Kernstrahlung, Feuerbälle, Hitzewellen, Druckwellen, Massenbrände und radioaktiven Niederschlag der Detonationen,
bedenken wir weiterhin, daß alle diese Folgen in unabsehbaren Wechselbeziehungen zueinander stehen würden und es sich außerdem bei der obigen Aufzählung aller Wahrscheinlichkeit nach um eine unvollständige Liste handelt, die zu ergänzen sein wird, wenn wir mehr über die Erde in Erfahrung gebracht haben werden -

dann müssen wir zu dem Schluß kommen, daß ein großflächiger atomarer Holocaust zur Vernichtung der Menschheit führen könnte." [12]

4. Der zweite Tod

Ein atomarer Holocaust gefährdet menschliches Leben auf drei Ebenen: Auf der Ebene individuellen Lebens, der Ebene der menschlichen Gesellschaft und der Ebene der natürlichen Umwelt. Ein weltweiter Nuklearkrieg bedeutet nicht nur vieltausendmal das mögliche Schicksal Mannheims, sondern mehr, er bedeutet das Ende der Menschheit, das Ende allen höheren Lebens auf diesem Planeten. Bisher war es so, daß ein Krieg mehr oder weniger große Verluste von Menschen bedeutete, die Menschheitsgeschichte ging aber immer wieder weiter. Immer gab es neues Leben, neue Generationen, die ihre Welt besser und friedlicher organisieren wollten. Das ist nach einem Atomkrieg vorbei. Mit dem Tod aller Menschen endet nicht nur das Leben der zum Zeitpunkt des Krieges Existierenden, sondern auch das Leben aller zukünftigen Generationen. Generationen, die noch gar nicht geboren sind, würden sterben, weil wir verhindert hätten, daß sie das Licht der Welt erblicken.

"Die Möglichkeit, daß die heute Lebenden die künftigen Generationen daran hindern können, ins Leben zu treten, zwingt uns dazu, völlig neue Fragen nach unserem Dasein zu stellen, deren weitestreichende lautet, was uns denn diese Ungeborenen bedeuten, von denen wir den meisten nie begegnen werden, selbst wenn sie geboren werden sollten. Vor unserer Zeit hat sich noch niemand dieser Frage gestellt, weil bisher keine Generation über Leben und Tod der ganzen Art entscheiden konnte." [13]

Doch nicht nur Gegenwart und Zukunft wären vernichtet, auch die Vergangenheit. Denn durch was lebt die Vergangenheit? Lebt sie nicht ausschließlich durch uns, durch die nachfolgenden Generationen, indem wir uns unserer Vergangenheit und dem früher Geschehenen bewußt sind? Wir tragen als einziges Lebewesen das Bewußtsein über die Vergangenheit unserer eigenen Art in uns. Die Erkenntnisse und Erfahrungen früherer Generationen sind nur lebendig, weil wir von ihnen Gebrauch machen. Angehörige vergangener Generationen wußten um ihre eigene Vergänglichkeit. Sie wußten aber auch, daß es immer wieder Menschen nach ihnen gibt, die von ihren Taten und ihrer Philosophie beeinflußt sind. Nicht sie selbst, aber der immaterielle Teil von ihnen lebt weiter. Wenn die Menschheit ausstirbt, wird jenen körperlich Toten früherer Zeitalter nachträglich auch der weiterexistierende Teil genommen. Die vergangenen Generationen fänden mit uns zum zweitenmal ein Ende - ihr endgültiges. Auch wir sterben zwei Tode, einen individuellen und den als Art. Alles Vergangene, alles Gegenwärtige und alles Zukünftige wäre mit einem Schlag durch das Atomfeuer ausgelöscht. Das ist der "Zweite Tod".

Aber können wir das überhaupt begreifen, wenn wir schon unfähig sind, die bestehenden Gefährdungen unserer Art zu verinnerlichen und entsprechend zu reagieren? Leider benimmt sich die jetzt lebende Generation immer noch zu einem großen Teil so, als wenn sie die letzte auf Erden wäre. Oder will sie es gar, will sie die irgendwo tief in ihrem Unterbewußtsein vorhandene Todessehnsucht befriedigen?

Wie sinnlos und kleinlich sind doch die Ziele der Menschen. Für kurzfristigen ökonomischen Gewinn, der hauptsächlich einigen wenigen zugute kommt, wird unsere Lebensgrundlage, die Ökosphäre, vernichtet. Durch künstlich erweckte Bedürfnisse werden riesige Mengen an Ressourcen für sinnlose Dinge verschwendet. Ideelle Werte scheint es in den Industriestaaten nicht mehr zu geben, was zählt sind Statussymbole, Geld und Macht. Moral ist zweitrangig und teilbar geworden. Sachzwänge, auch solche, die man selbst verursacht hat, bestimmen den Weg. Muß es denn aber immer so weit kommen, daß das Kind erst in den Brunnen fallen muß, ehe etwas geschieht? Können sich die Menschen nicht den wirklich wichtigen Fragen zuwenden? Manchmal erscheinen mir die Menschen wie Lebewesen im Dämmerzustand, und keine Macht der Welt vermag sie zu wecken.

"Rational erkennen wir, daß wir alle Voraussetzungen für unsere Selbstvernichtung geschaffen haben und daß wir diese Voraussetzungen jeden Tag vervollkommnen, emotional und politisch haben wir jedoch zu reagieren versäumt. (...)

Der Gedanke an die atomare Bedrohung wurde weitgehend aus dem bewußten Leben verdrängt und blieb den Träumen oder gewissen Randgruppen der Gesellschaft überlassen. Das offene, aktive Betroffensein war auf bestimmte "Außenseiter" beschränkt, deren Vorstellungen im großen und ganzen von den angeblich nüchternen, "realistischen" Menschen der breiten Mehrheit weniger bekämpft als ignoriert wurden. In dieser Atmosphäre bekam die Erörterung der atomaren Gefahr sogar einen etwas peinlichen Beigeschmack, als ob das Beharren auf ihr ein bißchen melodramatisch sei, eine pubertäre Übertreibung, von der man sich als ernsthafter Erwachsener freizumachen habe. (...)

Mittlerweile ermuntert man uns, nicht weiter nach Auswegen aus dem Dilemma zu suchen, sondern uns mit ihm abzufinden: unseren Blick zu entschärfen, so daß wir das Unübersehbare übersehen können, ein spezielles stumpfes Nervensystem zu entwickeln, das darauf dressiert ist, selbst auf die extremste und unmittelbarste Bedrohung nicht mehr zu reagieren; und uns eine spezielle engstirnige politische Denkweise anzueignen, die sich der tödlichen Krise nie stellen darf. Dieses furchtsame, verkrüppelte Denken nennt die Überzeugungen "realistisch", deren vordringlichstes Merkmal die Unfähigkeit ist, die wichtigste Realität unseres Zeitalters zu erkennen - den Abgrund, in den sich die Menschheit zu stürzen droht; "utopisch" hingegen, so heißt es verächtlich, sei jeder Plan, der ernsthaft hoffen läßt, die Art könnte am Selbstmord gehindert werden. (...)

Politische Maßnahmen, die uns an den Rand der Vernichtung führen, gelten als "gemäßigt" und werden als "ernstzunehmend" bezeichnet, während neue Maßnahmen, die uns ein Stück vom Rand des Abgrundes wegziehen könnten, als "extrem" oder "radikal" diffamiert werden." [14]

In der Bibel heißt es:

"Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht." [15]

Damit war Verantwortung für die Schöpfung gemeint. Verantwortung in dem Sinne, sie zu hegen und zu pflegen und vor allem zu erhalten. Der Mensch hat die Pflicht, die Erde vor dem Untergang zu bewahren. Die Rolle unserer Generation besteht darin, sich selbst zu erhalten und unseren Kindern eine intakte Umwelt zu hinterlassen.

Ein Sprichwort der nordamerikanischen Indianer lautet: "Die Erde ist unsere Mutter, und seine Mutter bringt man nicht um." [16]

"Die Alternative ist, uns der absoluten und ewigen Finsternis auszuliefern: einer Finsternis, in der es keine Nation, keine Gesellschaft, keine Ideologie, keine Zivilisation mehr geben wird; in der nie wieder ein Kind geboren wird, nie wieder Menschen auf der Erde erscheinen werden und sich niemand daran erinnern wird, daß es sie je gab." [17]

Anhang:

Wirkung eines Ein-Megatonnen-Sprengkopfes bei einer Explosionshöhe von 2.000 Metern. [18]

a) Druckwelle und Hitze:
Zone 1: (bis 4,3 km vom Nullpunkt) Totale Zerstörung, so gut wie keine Überlebenden.
Zone 2: (bis 7 km vom Nullpunkt) Die Hälfte der Bevölkerung stirbt, die Druckwelle überleben nur einige Stahlbetonbauten.
Zone 3: (bis 11 km vom Nullpunkt) Flächenfeuer, etwa 5 Prozent Tote durch Druckwelle, vielleicht 20 Prozent durch Feuer und Hitze.
Zone 4: (bis 17 km vom Nullpunkt) Leichte Beschädigungen von Gebäuden, etwa 35 Prozent Verletzte.

b) Radioaktiver Niederschlag:
25 - 50 km: (vom Nullpunkt) Radioaktiver Niederschlag tötet die in Kellern befindlichen Menschen.
bis 100 km: (vom Nullpunkt) Radioaktiver Niederschlag tötet die meisten im Freien befindlichen Menschen.

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[1] Dieter S. Lutz, Kein Überleben ohne Frieden, Frankfurt 1982
[2] Jonathan Schell, Das Schicksal der Erde, München 1982
[3] Jonathan Schell, a.a.O.
[4] Office of Technology Assessment (OTA), The Effects of Nuclear War, Washington 1979,
in Dieter S. Lutz, a.a.O.
[5] OTA, a.a.O.
[6] OTA, a.a.O.
[7] Steven Fetter/Kosta Tsipis, Nukleare Katastrophen: Ein Vergleich, 1981, in Dieter S. Lutz, a.a.O.
[8] Georg Fuchs, Von der Atombombe zum nuklearen Holocaust, 1981, in Dieter S. Lutz, a.a.O.
[9] Henry W. Kendall, Konsequenzen eines Nuklearkrieges in Europa, 1981, in Dieter S. Lutz, a.a.O.
[10] Henry W. Kendall, a.a.O.
[11] Jonathan Schell, a.a.O.
[12] Jonathan Schell, a.a.O.
[13] Jonathan Schell, a.a.O.
[14] Jonathan Schell, a.a.O.
[15] Die Bibel (in der Übersetzung Martin Luthers), 1. Buch Mose 1,28
[16] Claus Biegert, Seit 200 Jahren ohne Verfassung, Reinbek 1976
[17] Jonathan Schell, a.a.O.
[18] Dieter S. Lutz, a.a.O. und SIPRI, Rüstung und Abrüstung im Atomzeitalter, Reinbek 1977


Link-Tipp: Nukemap (Website über die Auswirkungen von Nuklearexplosionen auf Städte)