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| Impressum 04. November 1995, von Michael Schöfer Euro oder nicht Euro? - das ist hier die Frage Im Dezember 1991 beschloß der Europäische Rat (Konferenz der Staats- und Regierungschefs sowie des Präsidenten der EU-Kommission) in Maastricht die zweite grundlegende Revision und Ergänzung der Gründungsverträge - den Vertrag über die Europäische Union. Darin wird als Ziel der EU u.a. die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion vereinbart, "die auf längere Sicht auch eine einheitliche Währung [...] umfaßt" (Titel I Art.B). In Stufe III (spätestens ab 01.01.1999, Art. 109j Abs.4) ist die endgültige, unwiderrufliche Fixierung der Wechselkurse vorgesehen (Art. 109l Abs.4). Eintreten in Stufe III können EU-Mitglieder, welche die finanzpolitischen und monetären Konvergenzkriterien erfüllen (Art.109j Abs.1). Spätestens Anfang 2002 sollen dann einheitliche Münzen und Banknoten in den Teilnehmerstaaten eingeführt werden. Konvergenzkriterien sind: 1. Der Anstieg der Verbraucherpreise darf nicht mehr als 1,5 % über der Teuerungsrate der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen. 2. Die Staatsverschuldung und das Haushaltsdefizit dürfen 60 bzw. 3 % des BIP (Bruttoinlandsprodukt, Ergebnis aller im Inland von In- u. Ausländern erstellten Waren und Dienstleistungen) nicht überschreiten. 3. Der Wechselkurs muß sich zwei Jahre innerhalb der normalen Bandbreite des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS) bewegen. 4. Die langfristigen Zinssätze dürfen nicht höher liegen als 2 % über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten. Alles klar? Offensichtlich nicht. Denn im Vertragstext wurde nicht festgelegt, ob der Mittelwert, der unterste oder der oberste Wert der drei preisstabilsten Länder als Maßstab genommen werden soll. Demzufolge sind die Prozentsätze der Teuerungsrate und der langfristigen Zinssätze diffus. Derzeit soll die Rate nicht mehr als 2,6 oder 3,7 bzw. 8,4 oder 11,5 % betragen - je nach Auslegung des Vertragstextes. Bei der Wechselkursbandbreite des EWS ist es ähnlich. Als der Vertrag von Maastricht beschlossen wurde, galt im EWS noch eine Bandbreite von 2,25 %. Am 02.08.1993 beschlossen die Finanzminister und Zentralbankpräsidenten der EU jedoch eine Erweiterung auf 15 % und setzten das EWS damit faktisch außer Kraft. Was nun für Maastricht gilt, ist umstritten. Zudem nehmen 5 Länder der EU (Großbritannien, Finnland, Italien, Schweden und Griechenland) am EWS nicht teil bzw. sind - wie es angesichts der EWS-Krise euphemistisch heißt - "vorübergehend ausgeschieden". Zur Zeit halten lediglich 2 Länder (Luxemburg und Deutschland) alle Konvergenzkriterien ein. Eine Währungsunion dieser beiden hat aber schlechterdings keinen Sinn. Wer die Konvergenzkriterien letztlich schafft, ist ebenso unklar wie der Vertragstext selbst. Es ist äußerst ungewöhnlich, daß GRÜNE einem CSU-Politiker uneingeschränkt zustimmen. Aber Bundesfinanzminister Theo Waigel hat natürlich vollkommen recht, wenn er sagt, daß Belgien und Italien nicht teilnehmen können. So beträgt etwa die Staatsverschuldung in Belgien gegenwärtig 140, in Italien 123 %. Wenn überhaupt, ist diese zumindest in dem zur Verfügung stehenden Zeitrahmen nicht auf die geforderten 60 % zurückzuführen. Denn spätestens im Juli 1998 soll geprüft werden, welche Länder die Voraussetzungen zur Währungsunion erfüllen. Währungsunion ohne Frankreich, Belgien, Italien und den Niederlanden? Politisch kaum vorstellbar. Also wird man Zugeständnisse machen, die Konvergenzkriterien wohl oder übel aufweichen. Ebenso weich wird dann vermutlich die einheitliche Währung. Außerdem setzt diese notwendigerweise eine gemeinsame Wirtschaftspolitik voraus, letztere soll aber zwischen den Mitgliedstaaten bloß "aufeinander abgestimmt" sein (Art. 103). Was von solchen Absichtserklärungen zu halten ist, weiß jeder. Entspricht die Wirtschaftspolitik eines Mitgliedstaats nicht den festgelegten Grundzügen oder gefährdet gar das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion, können zwar "Empfehlungen" ausgesprochen werden, allerdings sind diese nach Art. 189 für den betreffenden Mitgliedstaat "nicht verbindlich". Ob man Punkt 2 der Konvergenzkriterien auch nach Einführung einer einheitlichen Währung befolgt, ist bislang schleierhaft. Zwar sollen nach Art.104c "übermäßige öffentliche Defizite" vermieden werden, die Sanktionsmechanismen sind indes denkbar umständlich und die darin angedrohten Strafen für das hartnäckige Nichtbefolgen der Haushaltsdisziplin ziemlich dürftig. Bezeichnenderweise ist diesbezüglich sogar das Recht auf Klageerhebung beim Europäischen Gerichtshof ausdrücklich ausgeschlossen (Art.104c Abs.10). Es ist deshalb mehr als fraglich, auf welche Weise man das Entgleiten der finanzpolitischen Zügel wirkungsvoll verhindern kann. Drastische Zwangsmittel gibt es nicht, und Hinauswerfen aus der Währungsunion kann man keinen. Die unabhängige Europäische Zentralbank hat zwar direkten Einfluß auf die Geld- und Wechselkurspolitik, nicht jedoch auf die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten. Tauschen wir die harte Mark demnach bald gegen den von Inflationsraten, hohen Zinsen und Wechselkursschwankungen (gegenüber Nichtteilnehmern) gebeutelten Euro ein? Werden die Menschen so um ihre Ersparnisse gebracht? Folgt einer gemeinsamen Währung zwangsläufig - wie Kritiker behaupten - steigende Arbeitslosigkeit, sinkendes Lohnniveau, reduziertes Wirtschaftswachstum und damit letztlich eine schwere Sozialkrise? Sind die Risiken somit größer als die Vorteile? Viele glauben das. Bei einer Umfrage des Wirtschaftsmagazins "DM" sagten 63 % nein zu einer einheitlichen europäischen Währung, 75 % plädierten für eine Volksabstimmung. Es wird Zeit, daß die Politik dem Rechnung trägt. Gerade in einer so sensiblen Frage, wie es die Stabilität unserer Währung zweifellos ist, dürfen wir uns keine Experimente erlauben. Ökonomischen Sachverstand hinter das politisch Wünschenswerte zurückzustellen, können wir uns einfach nicht leisten. Der Vertrag von Maastricht ist zumindest hierin ein fataler Fehler. Die gleichzeitig mit der Einführung der einheitlichen Währung einhergehende Aufgabe der Souveränität der Einzelstaaten in wirtschafts- und finanzpolitischen Angelegenheiten ist m.E. absolut unverzichtbar, aber eben gegenwärtig nicht vorgesehen. Und da auch für die Konvergenz der Volkswirtschaften Zeit benötigt wird, ist es in meinen Augen klüger, die Währungsunion zu verschieben und den Maastricht-Vertrag zu korrigieren. Es geht also nicht um das Ob, sondern um das Wie. "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", lautet ein geflügeltes Wort. Aber wer zu früh kommt, den bestraft das Leben manchmal auch. (Anmerkung: Als der
Artikel geschrieben wurde, stand der Name für die
gemeinsame Währung noch nicht fest. Deshalb hieß er
ursprünglich "Ecu oder nicht Ecu?...")
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