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10. September 1997, von Michael Schöfer
"Mannheim 21" - der Stein der Weisen?


Die Idee ist einfach genial, zumindest auf den ersten Blick. Man nehme einen Hauptbahnhof mitsamt den dazugehörigen Gleisanlagen, baue kräftig um, schneide hier und da ein paar Gleise ab (es darf, wie beim Metzger, ruhig etwas mehr sein), kassiere öffentliche Zuschüsse, verkaufe die freiwerdenden Flächen an kapitalkräftige Investoren und finanziere damit den ganzen Aufwand. Immense Gewinne können auch noch eingestrichen werden. Zurück bleibt ein modernisierter Hauptbahnhof und ein Areal, auf dem sich die Stadtplaner jahrelang austoben können. Sozusagen Potsdamer Platz im kleinen. Naturgesetze werden hier zwar immer noch nicht außer Kraft gesetzt - das Perpetuum mobile (die ewig laufende Maschine) bleibt also nach wie vor unerfunden -, aber wenigstens glaubt man sich nun endlich im Besitz des Steins der Weisen.

Mit dessen Hilfe sollten bekanntlich unedle Stoffe in edle (Gold, Silber) verwandelt werden. Das hat zwar ebenfalls lange nicht geklappt, aber mit der Erfindung der fortschrittlichen Ökonomie (böse Zungen bezeichnen das als Kapitalismus) ist man neuerdings durchaus imstande, aus Schei... Gold zu machen. Die politisch Verantwortlichen (namentlich die CDU) und die hiesige Monopolzeitung reagieren entsprechend - mit einer Begeisterungswelle ohnegleichen. Doch wo enorme Profite winken, setzt oft der Verstand aus. Risiken werden klein gerechnet oder ganz übersehen. Liebe macht blind, sagt der Volksmund. Die Liebe zum Geld allemal. So entsteht ein Klima, in dem schon allein kritisches Hinterfragen unstatthaft erscheint. Die Kritiker, so wird behauptet, seien einfach nicht in der Lage, die darin enthaltenen Chancen für die Stadtentwicklung zu begreifen.

Nichts bleibt, wie es war. Oder, um mit Heraklit (* ca. 540 v.Chr.) zu sprechen: "Alles fließt, nichts besteht." Doch wohin fließt es? Zum Guten, Schönen und Ästhetischen? Nun, zumindest in Mannheim darf man angesichts etlicher in Beton gegossener Sünden der Vergangenheit auch in Zukunft nicht viel Gutes erwarten. Fehlplanungen, man denke nur an das Carl-Benz-Stadion, die Borelly-Grotte oder das Stadthaus, sind hier leider gang und gäbe. Auch der optische Reiz (z.B. Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes) läßt - milde ausgedrückt - oft genug zu wünschen übrig. Diese vergleichsweise kleinen Patzer könnten sich allerdings nur als Ouvertüre zur nachhaltigen Verschandelung des Mannheimer Stadtbildes erweisen, sollten die kürzlich vorgelegten Pläne für das Projekt "Mannheim 21" gebilligt werden. Sie sprengen nämlich allein aufgrund ihres Ausmaßes jeden (vernünftigen?) Rahmen.

"Die Lage des Gleisfeldes läßt beiderseits der Bahnanlagen Flächen der Deutsche Bahn AG in der Größenordnung von ca. 10 ha freiwerden", heißt es in der Machbarkeitsstudie in bezug auf die favorisierte Variante B2 (näheres hierzu ist dem nebenstehenden Bericht zu entnehmen). Was man dann damit anfängt, steht gleichwohl in den Sternen. Für Wohnbebauung dürfte dieses Gebiet aufgrund der geforderten Bodenpreise kaum in Frage kommen, darüber hinaus lassen die Lärmbelästigungen des Bahnbetriebs und des Straßenverkehrs (Südtangente) eine solche Nutzung auch nicht attraktiv genug erscheinen. Bürobebauung wegen des hinterher auf längere Sicht vorhandenen Überangebots und der daraus resultierenden Ertragsschwäche ebenso.

Die Mannheimer Adler könnten zwar ein neues Eisstadion gut gebrauchen, doch dem steht hauptsächlich die Haushaltslage der Stadt entgegen. Letztlich sollen ja gerade private, und nicht öffentliche Investoren die Finanzierung gewährleisten. Also auch hier Fehlanzeige. Denkbar wäre eine Nutzung a la Rhein-Neckar-Zentrum (Viernheim), mit Kaufhäusern oder Großmärkten, hier ließe sich vermutlich am ehesten Investitionskapital finden. Nachteilige Konsequenzen für die Innenstadt sind dabei freilich nicht völlig ausgeschlossen. Es droht eine höchst unwillkommene Verödung der Einkaufsmeile. Ob die etablierten Mannheimer Einzelhändler die damit verbundene Konkurrenzsituation und Kaufkraftverschiebung begrüßen, darf mit Recht bezweifelt werden. Bereits heute wird von dieser Seite heftig gegen mißliebige Wettbewerber (Bauhaus vs. Hornbach, Seilwolff-Gelände) polemisiert.

Auch aus verkehrspolitischer Sicht sind negative Auswirkungen zu befürchten. So könnte sich die Deutsche Bahn AG selbst jeglicher Flexibilität hinsichtlich einer für denkbar gehaltenen und im Grunde genommen wünschenswerten Zunahme des Bahnverkehrs berauben. Sind die Gleise erst einmal reduziert und die freigewordenen Flächen bebaut, ist an eine bedarfsgerechte Kapazitätsausweitung des Mannheimer Hauptbahnhofs (einschließlich der damit verbundenen räumlichen Anpassung) nicht mehr zu denken. Wird etwa die Ökosteuerreform beschlossen - und das kann schon nach der nächsten Bundestagswahl geschehen -, sind alle Planungen obsolet. Mit anderen Worten: Für eine Wende in der Verkehrspolitik stünde dann - jedenfalls in Mannheim - keine Fläche zur Verfügung.

Außerdem bestehen berechtigte Zweifel, ob die Deutsche Bahn AG mit den dann vorhandenen acht Bahnsteiggleisen allein das gegenwärtig existierende Verkehrsaufkommen wird bewältigen können. "Bereits heute ist der Mannheimer Hauptbahnhof mit seinen neun Gleisen gut ausgelastet", stellt hierzu ein Gutachten im Auftrag der Gemeinderatsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen fest. Der Verkehrsknotenpunkt Mannheim könnte sehr schnell zum Nadelöhr mutieren. So ist in der Tat zu befürchten, daß künftig Züge erst gar nicht in Mannheim halten, sondern eher über Heidelberg oder durch Rheinland-Pfalz geführt werden.

Konkret gefährdet ist zudem der "Integrale Taktfahrplan" (ITF), ein durch die Bereitstellung optimaler Anschlüsse wesentlicher Gesichtspunkt für die Attraktivität des Bahnverkehrs (näheres hierzu ist dem nebenstehenden Bericht zu entnehmen). Die Deutsche Bahn AG behauptet natürlich, die Probleme seien durch modernes Gleismanagement in den Griff zu bekommen. Der Beweis durch den Hauptnutznießer des gesamten Deals steht indes noch aus. Ob er vor der Realisierung des Projekts erbracht wird, ist mehr als fraglich. Im nachhinein ist man gewiß schlauer, aber meist auch um eine schlechte Erfahrung reicher. Die Entscheidung über "Mannheim 21" prägt folglich für lange Zeit die Verkehrsanbindung der Stadt - ein Pfund, mit dem die Verwaltungsspitze seit Jahren hausieren geht. Die Gefahr, es leichtfertig zu verspielen, ist nicht von der Hand zu weisen. Und in diesem Fall würden dann alle Träume, sich langfristig als Konkurrenz zum Ballungsraum und Dienstleistungszentrum Frankfurt zu etablieren, wie eine Seifenblase zerplatzen. Deshalb ist eine skeptische Haltung unbedingt zu empfehlen.

Der wahre Hintergrund des Ganzen ist denn auch keine Frage der Stadtentwicklung, vielmehr eine von eigensüchtigen Profitinteressen der Deutsche Bahn AG. Offenbar will man die für überflüssig gehaltenen Bahnflächen möglichst vor der endgültigen Aufteilung der ehemaligen Deutschen Bundesbahn gewinnbringend kapitalisieren: "Mit den Flächenveräußerungen der Bahn AG ist ein bundespolitischer Skandal verbunden, der bislang wenig Beachtung fand: Der Bund hat bei der Bahnprivatisierung die Altschulden der Bahn übernommen und dafür das Bundeseisenbahnvermögen (BEV) gegründet. Die Altlasten sollten u.a. durch den Verkauf nicht mehr für den Bahnbetrieb nötigen Flächen abgetragen werden. Die Bahn AG will aber die Verkaufserlöse überwiegend in die eigene Tasche stecken. Sie hat dem BEV einen Anteil von pauschal 12 Mrd. DM zugesichert, obwohl der Wert im Rahmen der geplanten Flächenverkäufe um ein Vielfaches höher liegt. Damit werden diese Erlöse in Form der Bahn AG - deren Aktien früher oder später veräußert werden - privatisiert. Der Schuldenberg, der sich beim BEV aufhäuft, wird auf die Allgemeinheit in Form von Abgabenerhöhungen und Sozialkürzungen abgewälzt", schreiben Michael Steinfatt und Götz Junk in ihrem Gutachten für die Gemeinderatsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Nicht zuletzt daraus resultiert der für ein Projekt dieser Größenordnung außerordentlich ungewohnte Zeitdruck (mit der Auftragsvergabe soll bereits 1998 begonnen werden). "Mannheim 21" und diverse andere gleichartige Vorhaben (z.B. "Stuttgart 21") dienen also in erster Linie privatem Verwertungsinteresse, der Nutzen für die betroffenen Kommunen ist dagegen äußerst zweifelhaft. Insbesondere dann, wenn mögliche Verluste per Ausfallbürgschaft letztlich wieder dem Steuerzahler auferlegt werden.

Fazit: Alles in allem kann die Euphorie, die dieses Projekt von Anfang an begleitet, nicht nachvollzogen werden. Wir können uns an einem solch exponierten Ort weder eine Investitionsruine noch eine gigantische Fehlplanung erlauben. Aus diesem Grund muß das Vorhaben eingehend geprüft und einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Was wir demnach brauchen, ist Zeit für eine gründliche Diskussion.