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14. Juni 1998, von Michael Schöfer
Philosophisches

"Wer nichts weiß, muß alles glauben", lautet ein Satz von Freifrau Marie v. Ebner-Eschenbach, geb. Gräfin Dubsky. Wie? Kennen Sie nicht? Jetzt werden Sie mal nicht rot, ist doch keine Schande. Ich kannte die verehrte Gräfin bis vor kurzem auch nicht. Und die tiefere Bedeutung dieses auf den ersten Blick recht simpel anmutenden Satzes ist mir zunächst ebenfalls nicht aufgegangen. Aber bei intensivem Nachdenken kam mir dann plötzlich die Angela Merkel in den Sinn. Die gelernte Physikerin (was DDR-Diplome wert sind, ist ja inzwischen allgemein bekannt) behauptet nämlich, von der Verstrahlung der Castor-Behälter überhaupt nichts gewußt zu haben. Vermutlich hat sie der Atomindustrie gerade deshalb alles geglaubt. Mit einem Mal war damit das Geheimnis der aristokratischen Diagnose gelüftet.

Ob dies jedoch im Umkehrschluß bedeutet, daß, wer nichts glaubt, alles weiß, möchte ich hier freilich nicht behaupten. Denn das würde zweifellos die Fundamente des gesamten christlichen Abendlandes unterminieren. Und davor schrecke ich, was Sie vielleicht verstehen werden, noch ein bißchen zurück. Jedenfalls vorläufig. Der neue Bonner Regierungssprecher, Otto Hauser, besitzt demgegenüber die bewundernswerte Fähigkeit, komplexe Probleme in einem einzigen Satz zusammenzufassen und abschließend zu behandeln. Etwa so: "Wie weit es der Atheismus gebracht hat, kann man in der ehemaligen DDR nach wie vor besichtigen." Solch soliden Grundwahrheiten ist nun wirklich nicht viel entgegen zu halten. Weshalb ich künftig lieber schweigen werde.

Apropos schweigen: Ludwig Wittgenstein vertrat in seinem bedeutendstem Werk den bei näherem Hinsehen nicht völlig absurden Standpunkt, daß Sprache zur Vermittlung wesentlicher Sachverhalte denkbar ungeeignet sei. Konsequenterweise empfahl er im letzten Satz des Tractatus: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." Wittgenstein hat das anschließend tatsächlich getan, zehn Jahre lang. Nur um sich dann in einem weiteren Werk eigenhändig zu widerlegen. Das ist das betrübliche Schicksal der Philosophen: Irgendwann kommt so ein Dahergelaufener und behauptet haargenau das Gegenteil von dem, was Du vorher schlüssig bewiesen hast. Seine Beweisführung belegt - Gott sei's geklagt - ebenso schlüssig, wie gründlich Du dich geirrt hast. Um dieser Demütigung vorzubeugen, macht man es lieber gleich selbst. Wie Wittgenstein. Außerdem: Wer sich selbst widerspricht, ist wenigstens nach allen Seiten abgesichert. Beinahe so, wie in der Politik.

Der frühere Regierungssprecher, Staatssekretär Peter Hausmann (CSU), hat Wittgenstein anscheinend sorgfältig gelesen und zielstrebig befolgt. Zu zielstrebig. Aufrichtig gab er bei Bundespressekonferenzen wiederholt zu erkennen, manches einfach nicht zu wissen. Und wovon er nicht sprechen konnte, darüber mußte er halt schweigen. Aber mit beharrlichem Schweigen läßt sich die Politik des Adenauer-Enkels natürlich nicht verkaufen. Aus diesem Grund hat Kohl seinen Sprecher, der genaugenommen nichts zu sagen hatte, kurzerhand entlassen. Zehn lange Jahre, bis Hausmann - wie Wittgenstein - endlich abgesichert gewesen wäre, wollte sein Boß offenkundig nicht warten. Woran man zumindest erkennen kann, wie schwer es philosophisch angehauchte Angestellte auch heutzutage noch haben.

Des Kanzlers neuer Sprecher ist jetzt eben der besagte Otto Hauser, und dieser ist nun wahrlich kein Philosoph, das hat man sofort gemerkt. Substanzielles über die Regierungspolitik hat Hauser zwar genauso wenig mitzuteilen (woher soll es denn kommen?), darüber sprechen tut er aber um so mehr. Und irgendwie ist das fast schon philosophisch, finden Sie nicht? Aus dem Nichts etwas zu machen, ist immerhin eine große Kunst. Jean Paul Sartre konnte das auch, nur um eine Nuance besser. Leider gibt es in der Bevölkerung unerwartet wenig Kunstliebhaber, weshalb der Herr Hauser gleich zu Beginn von einem Dementi ins andere stolperte (um Mißverständnissen von vornherein vorzubeugen: Dementi ist von der Bedeutung her nicht verwandt mit dem Terminus Demenz. Gleichgültig, was der Thesaurus von Bill Gates' WINWORD behaupten sollte). Hausers Wirkung war jedenfalls geradezu kontraproduktiv. Ein wertvoller Wahlkämpfer - nur nicht für seine Partei.

Übrigens, die Verlautbarungen der Regierenden haben mittlerweile in der Tat ein bemerkenswert hohes intellektuelles Niveau erreicht: "Ich spreche, also bin ich." Jetzt denken Sie bestimmt an den französischen Philosoph Rene Descartes. Leider absolut falsch gedacht, denn das ist das Credo von Guido Westerwelle. Philosophisch, d.h. umständlich ausgedrückt, ist die Menge seiner Verlautbarungen umgekehrt proportional zu deren Substanz. Alles klar? Wenn nicht, fragen Sie mal Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt ("Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt"), bei dem ist es bekanntermaßen ähnlich.

CDU-Generalsekretär Peter Hintze glänzt obendrein mit einem nur für ihn allein charakteristischen Minimalismus: Die komplette Geschichte der DDR auf zwei Plakaten. Und Bundesarbeitsminister Norbert Blüm besteht weiterhin starrsinnig auf seinem naiven Glauben an die Sozialromantik: "Wir haben alles für die Unternehmer getan, nun müssen sie bloß noch Arbeitslose einstellen." Doch den Vogel schießt - wie immer in derartigen Fällen - unwiderlegbar der Chef höchstpersönlich ab. Originalton Helmut Kohl: "Ich weiß nicht, was mein Freund Mitterrand darüber denkt, aber ich denke genauso." Hab' im Grunde ja schon immer gewußt, daß ich im Land der Dichter und Denker aufgewachsen bin. Da hätte es einer zusätzlichen Bekräftigung durch den Kanzler gar nicht bedurft.

"Wer falsch wählt, muß sich alles anhören." Könnte glatt von Freifrau Marie v. Ebner-Eschenbach, geb. Gräfin Dubsky stammen. Ist aber von mir. Irgendwie wollte ich schon immer in den Panthéon der Philosophen aufgenommen werden. Ob mir das mit diesem kleinen Beitrag endlich gelungen ist? Wie bitte? Sie sagen, da kommen nur Tote rein? Nun, dann kann das mit dem Panthéon ruhig noch ein Weilchen warten. Gerade gegen letzteres haben Sie gravierende Einwände? Es kann Ihnen wohl nicht schnell genug gehen? Das höre ich allerdings gar nicht gerne. Denken Sie denn überhaupt nicht an die LIANE? Daran, behaupten Sie, würden Sie unablässig denken? Wie soll ich das nun wieder verstehen? Darauf verweigern Sie auch noch kaltschnäuzig die Antwort? Unerhört!

Meiner unmaßgeblichen Meinung zufolge kann Ihnen das letztlich nur schaden. Sehen Sie sich nur den Hausmann an. Das glauben Sie wohl nicht, so wie Sie jetzt grinsen? Sie haben offensichtlich die Ausgangsthese meines Artikels ("Wer nichts weiß, muß alles glauben") überhaupt nicht begriffen. Wofür schreib' ich eigentlich? Wie, das fragen Sie sich langsam auch? (...) Mir bleibt die Spucke weg! Treiben Sie's nur nicht zu toll. Sonst geh' ich unverzüglich zur Union - die haben nämlich auch Parteizeitungen. Beim Bayernkurier warten sie nur auf mich. Und wenn dann der Kohl am 27. September wider Erwarten bestätigt wird, wissen Sie, woran es gelegen hat. An mir! An mir allein!

Anmerkung der Redaktion: Das lateinische Wort für Größenwahn ist uns augenblicklich nicht präsent. Wir wären Ihnen trotzdem äußerst dankbar, wenn Sie uns einen guten Psychologen empfehlen könnten.

(Zur Erläuterung: Die LIANE ist die Kreisverbandszeitung von Bündnis 90/Die Grünen - KV Mannheim)