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19. August 1999, von Michael Schöfer
Regierungspolitik: Wende um 180 Grad

Das Problem der neuen Bundesregierung tritt auch beim Streitgespräch zwischen Herbert Ehrenberg (SPD, Bundesarbeitsminister 1976 - 1982) und Oswald Metzger (Die Grünen, MdB, haushaltspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion) offen zutage. [1] Während Herbert Ehrenberg die Argumentation der früheren Oppositionsparteien nach wie vor für richtig hält ("Die Bruttoeinkommen der Unternehmen sind seit 1992 um 43 Prozent gestiegen [...] und trotzdem ist das Steuereinkommen ständig gesunken"), übernimmt Oswald Metzger im Gegensatz dazu die Argumentation der früheren Regierungskoalition ("Wenn wir auch nur eine befristete Vermögensabgabe [...] einführen würden, würde das eine Kapitalflucht bewirken [...]. In der jetzigen Situation die Vermögensteuer-Debatte zu führen, halte ich für absurd."). Im grünen Programm zur Bundestagswahl 98 "Grün ist der Wechsel" findet sich jedoch folgende Passage: "BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen die Vermögensteuer in Höhe von einem Prozent wieder einführen" (Seite 66). Genau das, was Ehrenberg einfordert, Metzger aber kurzerhand ablehnt.

Der Kern der Regierungsmisere ist m.E. folgender: Plädierten beide Regierungsparteien vor der Wahl noch für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik (Stärkung der Massenkaufkraft), ist man inzwischen zu unserer aller Erstaunen bei einer angebotsorientierten angelangt (vgl. Schröder/Blair-Papier). Und wie bei der im September abgewählten CDU/FDP-Bundesregierung sollen nun auch unter Rot-Grün die Unternehmen steuerlich entlastet werden (um 8 Mrd. netto), die Zeche hierfür dürfen aber - wie gehabt - Arbeitslose, Rentner und Sozialhilfeempfänger begleichen. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck fordert sogar für alle Arbeitnehmer zwei Jahre lang Null-Runden.

Eine abrupte Wende um 180 Grad! Da helfen auch keine beschönigenden Worte (bei Kohl haben sie zuletzt auch versagt), so dumm sind die WählerInnen nämlich nicht. Über mangelnde Begeisterung und die daraus resultierende Wahlzurückhaltung der eigenen Anhänger darf man sich angesichts dessen nun wirklich nicht wundern. In den Wahlprogrammen der jetzigen Regierungsparteien findet man gerade in puncto Wirtschafts- und Sozialpolitik viel Gutes und Sinnvolles, nicht zuletzt deshalb sind sie ja schließlich gewählt worden. Doch wenn SPD und Grüne in der Praxis weiterhin konsequent ihre eigenen Programme vernachlässigen, werden sie sicherlich ebenso bestraft wie ihre schwarz-gelben Vorgänger - mit der Abwahl.

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[1] "Zukunftsprogramm 2000 - Stimmt die Richtung?", Mitgliederzeitung Schrägstrich / grün & bündig, Juli 1999