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16. Juli 1996, von Michael Schöfer
Die Standortlüge


Ist der Produktionsstandort Bundesrepublik zu teuer? Sind wir deshalb im Ausland nicht mehr wettbewerbsfähig? Hätte diese These tatsächlich Substanz, müßte es um unseren Export äußerst schlecht bestellt sein. Berücksichtigt man jedoch den Außenhandel in absoluten Zahlen, nimmt die Bundesrepublik gegenwärtig den zweiten Platz unter den führenden Handelsnationen ein (hinter den USA u. vor Japan). Diese Werte sind allerdings immer noch verzerrt, denn sie berücksichtigen nicht den Anteil des Exports pro Einwohner, und erst dieses Verhältnis ist wirklich repräsentativ. Nimmt man das zum Maßstab, ist Deutschland mit weitem Abstand Exportweltmeister.


USA Japan Deutschland
Einwohner 1993 257,8 Mio. 124,5 Mio. 81,3 Mio.
Ausfuhr 1994 (absolut) 512,6 Mrd. $ 387,8 Mrd. $ 414,5 Mrd. $
Ausfuhr 1994 (je Einw.) 1.988 $ 3.114 $ 5.098 $



Die Bundesrepublik erwirtschaftet im Handel mit dem Ausland (pro Einwohner) erheblich mehr als jede andere vergleichbare Nation. Die Statistik offenbart es: ein Japaner liegt diesbezüglich 39 %, ein US-Amerikaner sogar 61 % zurück. So schlecht kann es also um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gar nicht bestellt sein. Träfe das - wie vielfach behauptet - wirklich zu, käme man zu völlig anderen, und zwar schlechteren Ergebnissen.

Richtig ist vielmehr: In keinem der letzten 10 Jahre war der Saldo unser Handelsbilanz negativ, 1995 war er mit beachtlichen 93 Mrd. DM im Plus, was sich - entgegen allen Unkenrufen der Wirtschaft - auch im ersten Halbjahr 1996 weiter fortgesetzt hat. Ganz im Gegenteil, gerade der Export boomt, während der Binnenmarkt mangels Kaufkraft darniederliegt. Ob der überproportionale Anteil des Exports am Bruttosozialprodukt (1993: BRD 19,2 %, Japan 9,2 %, USA 7,3 %) und mithin die Abhängigkeit vom Ausland für die deutsche Volkswirtschaft letztlich schädlich ist oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Im vorliegenden Kontext kommt es lediglich darauf an, was erwirtschaftet wird.

Fazit: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist nach wie vor gegeben. Von daher erscheint die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland nicht zwingend. Daß sie dennoch geschieht, ist unbestreitbar, hat aber andere Gründe als mangelnde Wettbewerbsfähigkeit (Umverteilung im Innern). Das gemeinhin als konservativ geltende Münchener Ifo-Institut hat erst kürzlich in einer Studie für das Bundeswirtschaftsministerium festgestellt: Löhne und Steuern in der Bundesrepublik sind im internationalen Vergleich keineswegs zu hoch, die Unternehmen hätten dadurch gegenüber ihren Konkurrenten am Weltmarkt keine großen Nachteile. "Die Klagen über zu hohe Arbeitskosten sind zum großen Teil interessenpolitisch motiviert", so Ifo. Dem ist nichts hinzuzufügen.