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| Impressum 09. Januar 2000, von Michael Schöfer Fundamentalisten auf dem Vormarsch? Meist wird hinter dem Treiben religiöser Sekten das profane Streben nach dem schnöden Mammon vermutet. In vielen Fällen nicht zu Unrecht. Daß Sekten jedoch auch politisch und nicht nur wirtschaftlich äußerst gefährlich sind, bleibt gewöhnlich im verborgenen. Das Weltbild dieser Gruppen widerspricht nämlich fundamental unseren demokratischen Grundüberzeugungen. Der eindeutig gegen Aufklärung und Wissenschaft gerichtete Charakter ihrer Ideologie ergibt in Verbindung mit der geradezu fanatischen Zustimmung ihrer Anhänger ein außerordentlich explosives Gemisch. Ein Beispiel: Sant Thakar Singh, von seinen Jüngern - wie kann es anders sein - liebevoll "Meister" genannt, gewährt uns in der kleinen Broschüre "Sant Mat, Der Weg zur Wahrheit" einen Einblick in seine bizarren Vorstellungen vom "Beginn des Goldenen Zeitalters". Zunächst beginnt er mit der Anrede "meine lieben Kinder", womit die untergeordnete Stellung seiner Gefolgschaft von vornherein klar und deutlich festgelegt ist. Sein Weltbild ist aus Elementen unterschiedlicher Glaubensrichtungen zusammengesetzt. So findet man in den Äußerungen des "Meisters" u.a. auch sozialistisch angehauchte Grundzüge, etwa "Niemand wird Besitz haben, und alle Häuser werden ebenfalls Gottes Eigentum sein" (Seite 6). Oder: "Wir werden kein Geld, kein Gold und kein Silber mehr haben" (Seite 9). In Anlehnung an das israelische Kibbuz-Modell wird weiterhin gesagt: "Wir haben keine Familien mehr und brauchen weder Brüder noch Schwestern, denn wir werden alle von der Gemeinschaftsküche und den anderen allgemeinen Einrichtungen versorgt" (Seite 9). Natürlich darf auch das Christentum, das ja selbst ein Sammelsurium verschiedener Mythen darstellt, nicht fehlen: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und liebe deine Feinde", fordert Singh (Seite 6). Angereichert wird das Ganze dann mit für uns Europäer exotischen Zutaten fernöstlicher Religionen (z.B. Karma, Meditation). Alles in allem nicht gerade originell, eher nach dem Motto: "Man nehme von jedem etwas..." (Patchwork-Ideologie). Isoliert betrachtet aber noch relativ harmlos. Viel beängstigender ist die absolute Naivität, die in dieser Denkweise zum Ausdruck kommt. Hier ein paar Kostproben: "Ihr werdet keinerlei Krankheiten haben, da euch eure Meditationen vor allen Beschwerden beschützen werden" (Seite 4). "Wenn ihr irgendeine Krankheit habt, dann kümmert euch einfach nicht darum, sondern setzt euch zur Meditation (...) und diese Krankheit wird verschwinden" (Seite 8). "Eure Zähne werden bis zum letzten Augenblick ohne jede Behandlung und ohne irgendwelche anderen Verfahren in Ordnung sein. Ihr werdet auch keine Zähne verlieren. Alles wird in gutem Zustand sein. Niemals werdet ihr Kopfweh oder irgendeine andere Krankheit haben" (Seite 8). Und das, obwohl es keine Ärzte, Desinfektions- und Arzneimittel mehr geben soll. Es wird alles durch eine obskure, nicht näher beschriebene "Naam-Kraft" gereinigt (Seite 9 und 19). Singh zufolge brechen geradezu paradiesische Zustände aus: "Es wird uns keinerlei Gefahr mehr drohen (...), niemand kann euch übel mitspielen. Jeder, der zu euch kommt, wird euer Freund sein. Selbst Löwen und alle anderen Tiere werden ihr Verhalten ändern. Ihr werdet in dieser Welt keine Schlangen mehr zu Gesicht bekommen (...), die Moskitos werden euch nichts mehr tun, Fliegen (...) und Heuschrecken (...) wird es nicht mehr geben (Seite 8). Die Kriminalität ist ebenfalls unwiderruflich besiegt: "Es wird keinen Dieb, Betrüger und keinen Räuber mehr geben" (Seite 9). Wirklich bemerkenswert! Noch abenteuerlicher sind die erstaunlichen Fähigkeiten, die man angeblich erwirbt: "Ihr könnt auf dem Wasser gehen, (...) und ihr könnt durch die Luft fliegen" (Seite 10). Man braucht keine Reisen mehr zu machen, denn die Verständigung untereinander findet durch die Seelen statt (Seite 11). Und falls wider Erwarten doch Reisen notwendig sind, braucht man nur zu denken, schon ist man am gewünschten Ort (Seite 22). Schlaf ist im "Goldenen Zeitalter" nicht mehr notwendig, und nach einiger Zeit wird selbst Nahrung überflüssig (Seite 8 und 12). Die Welternährungslage wäre somit wohl endgültig gelöst. Sexualität ist - bedauerlicherweise - auch nicht mehr erforderlich, trotzdem kann es mit Gottes Hilfe weiterhin Kinder geben (Seite 15 und 16). Sie werden dann selbstverständlich "Gottes Kinder" sein. Und Atombomben können einem - dem Himmel sei Dank - ebenfalls nichts mehr anhaben (Seite 23). Natürlich ist auch in diesem Kontext der Mensch "das Größte, das Höchste in der Schöpfung" und wird "die Materie völlig beherrschen" (Seite 14 und 22). Sollte es dennoch irgendwelche Probleme geben, "alle 330 Millionen Engel", die jedem "zu Diensten stehen", werden einem gewiß aus jeder noch so kleinen Bredouille retten (Seite 12). Unter diesen Umständen kann man es dann schon eher verschmerzen, wenn mit dem "Beginn des Goldenen Zeitalters" jegliche Vernunft über Bord geht, wenn alle Naturgesetze en passant - quasi im Schnelldurchgang - widerlegt werden. Armer Newton, armer Einstein. Über das oben Gesagte könnte man vielleicht noch milde und nachsichtig lächeln, die Ideologie des "Wegs zur Wahrheit" ist jedoch in hohem Maße gefährlich. Allzu offensichtlich wird nicht nur eine Welt der materiellen, sondern insbesondere eine der geistigen Genügsamkeit propagiert. Bildung ist einfach nicht mehr erforderlich: "Wir brauchen unsere Kinder auch nicht mehr in die Schule zu schicken, denn es wird keinerlei Ausbildung nötig sein, nur ein wenig von den drei Künsten: etwas Schreiben, Lesen und Rechnen. Der Wissenstand von ungefähr der vierten oder fünften Klasse wird ausreichen" (Seite 15). Naturgemäß gibt es in so einem Fall über kurz oder lang keine Bücher mehr. Wer sollte sie auch schreiben, die Schüler der fünften Klasse? Selbst wenn sie es könnten, über was schreiben sie? Sie wissen ja nichts. Technik, etwa die Tonbandkassetten, mit deren Hilfe der "Meister" seine Reden verbreitet, ein für allemal dahin. Aber zu unserem großen Glück wird es Führer geben, in jeder örtlichen Gemeinschaft wenigstens eine Person, die verantwortlich ist und Gott erreicht hat (sprich die Weisheit besitzt). Sie zumindest ist mit Gott eins und handelt ebenso wie Gott. Man darf diese Auserwählten laut Singh - nur keine falsche Bescheidenheit vortäuschen - ruhig "Hohe Priester" nennen. Denn Gott wirkt in ihnen (Seite 6). Mit anderen Worten: Aus einem Meer von Dummheit ragt - wie gehabt - die alleswissende Priesterkaste heraus. Und über allem thront - wie zu erwarten war - der "Meister". Schließlich kommt das Paradies nur durch seinen persönlichen Einsatz (Seite 24). Das Ganze mündet also unausweichlich in eine Diktatur der Geistlichkeit. Der Meister lacht, wie beiläufig erwähnt wird. Ich nicht, mir sträuben sich vielmehr alle Nackenhaare. Abschied vom kritischen Rationalismus, Demokratie und Menschenrecht ade. Das "Goldene Zeitalter" Sant Thakar Singhs dürfte wohl eher ein äußerst dunkles Zeitalter einläuten, dem sämtliche Werte und Errungenschaften der modernen Zivilisation zum Opfer fallen. Thales von Milet (ca. 625 - 547 v. Chr.) konnte bereits die Sonnenfinsternis vom 28. Mai 585 v. Chr. exakt vorausberechnen, eine sensationelle Demonstration seiner astronomischen und mathematischen Fähigkeiten. Aristarchos von Samos (ca. 310 - 230 v. Chr.) postulierte als erster ein heliozentrisches Planetensystem (Sonne als Mittelpunkt). Und Eratosthenes von Kyrene (ca. 276 - 195 v. Chr.) bezifferte den Erddurchmesser auf etwa 12.800 km, er kam damit dem wirklichen Durchmesser unseres Heimatplaneten (am Äquator 12.756 km) erstaunlich nahe. 2.000 Jahre später hat man bei uns für die gleichen Ansichten noch Menschen auf den Scheiterhaufen der Inquisition verbrannt. Wollen wir dahin wirklich zurück? Soll sich Wissenschaft abermals dem Glauben unterordnen? Sie werden jetzt sicherlich fragen, welche Relevanz die Ideologie einer zugegebenermaßen recht kleinen und machtlosen Sekte für unsere Gesellschaft überhaupt hat. Nun, im US-Bundesstaat Kansas wurde jüngst die Evolutionstheorie an den höheren Schulen kurzerhand von den Prüfungslisten gestrichen, zweifellos ein großer Erfolg für die Verfechter der christlichen Schöpfungslehre. Doch da hört der Spaß dann plötzlich auf. Ob sich eine Industrienation hierdurch letztlich einen Gefallen tut, ist in hohem Maße fraglich. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Die ganze Angelegenheit ist jedenfalls ein aufsehenerregendes Warnsignal und beweist, daß die Fundamentalisten nicht nur - wie man uns glauben machen will - in den Reihen des Islam zu finden sind. Außerdem wird hierdurch deren überraschend großer Einfluß auf die Institutionen einer modernen Industriegesellschaft dokumentiert. Dabei haben wir - fälschlicherweise, wie man konstatieren muß - geglaubt, die Kreationisten seien längst ausgestorben. Das Gegenteil ist richtig, denn wie man hört nimmt ihre Bedeutung vor allem in Lateinamerika sogar dramatisch zu. Die Decke der Zivilisation ist offenbar extrem dünn, dünner als wir für gewöhnlich annehmen. Zum kritischen Rationalismus gibt es in Wahrheit keine Alternative. Es sei denn, wir würden uns erneut einer wie auch immer gearteten Priesterkaste ausliefern, die uns künftig vorschreibt, was wir zu tun und zu lassen haben, was wir denken und sagen dürfen. Wer wirklich glaubt, daß - wie es das Alte Testament berichtet - Gott die Sonne für 24 Stunden angehalten hat, soll es meinetwegen glauben. Er darf die Bibel ruhig wörtlich nehmen. Aber er soll nicht dafür sorgen dürfen, daß solche, jeglicher Erkenntnis widersprechenden Mythen unseren Kindern in den Schulen als Tatsache eingetrichtert werden. Aufklärung tut also nach wie vor not - speziell über deren Gegner. Sant Thakar Singh ist hier nur ein Beispiel unter vielen. |