Home
| Archiv | Leserbriefe
| Impressum 04. Mai 2000, von Michael Schöfer Green Card-Glosse Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Green Card-Initiative von Bundeskanzler Gerhard Schröder verschafft auch den einheimischen Beschäftigten die unerwartete Möglichkeit, ihre höchst unbefriedigende berufliche Situation endlich entscheidend zu verbessern. Nötig hierfür ist lediglich ein Bewerbungsschreiben an den jeweiligen Arbeitgeber. Für Interessierte füge ich ein Musterschreiben bei: Sehr geehrte Damen und Herren, aus der Presse habe ich von der Green Card-Initiative der Bundesregierung erfahren. Da ich privat seit längerem mit dem Computer arbeite und bereits gute Kenntnisse des Windows-Betriebssystems bzw. der darauf basierenden Applikationen besitze, möchte ich mich hiermit bei Ihnen um einen Arbeitsplatz als Computer-Experte bewerben. Als Ihr Angestellter konnte ich diese Erfahrungen bislang nur sehr eingeschränkt nutzen. Seitdem man sich auch in unserer Firma für das Microsoft-Betriebssystem "Windows" entschieden hat, ist das jedoch wesentlich besser geworden. Zumindest die Schreibmaschine konnte ich zwischenzeitlich ausrangieren. Auf mein Gehalt hat sich das freilich noch nicht ausgewirkt, die privat erworbenen Kenntnisse werden von mir zur Zeit also noch kostenlos erbracht. Die Green Card-Initiative ändert indes alles. Endlich kann ich auch finanziell von meinem Wissen profitieren. Das vorgeschriebene Mindestgehalt von 100.000 DM kommt mir gerade recht, erhöht es doch mein Bruttogehalt mit einem Schlag um 100 Prozent. Eine Aussicht, von der ich nie zu träumen gewagt hätte. Zwar sind bei der Initiative lediglich ausländische Experten angesprochen, ich habe allerdings gegen eine Änderung meiner Staatsangehörigkeit keinerlei Vorbehalte. Gerne nehme ich etwa die indische Staatsbürgerschaft an, schließlich verspreche ich mir hierdurch eine erhebliche Wohlstandssteigerung. Ein schlagender Beweis für meine enorme Flexibilität. Die Vorteile für Sie liegen auf der Hand. Erstens spielen bei mir die allseits befürchteten Sprachprobleme keine Rolle (ich kann sogar Hochdeutsch), zweitens bin ich mit dem hiesigen Kulturkreis von Kindesbeinen an bestens vertraut und drittens leben meine Angehörigen schon in Deutschland, benötigen aus diesem Grund also keine separate Aufenthaltserlaubnis. Meine Integrationsprognose dürfte demzufolge äußerst positiv ausfallen. Vielleicht müssen Sie bei der Ausbildung noch etwas nachhelfen, was Sie jedoch mit Sicherheit problemlos in die Wege leiten können (wie Sie sehen, trage ich Ihnen die Vernachlässigung meiner Aus- und Weiterbildung in den zurückliegenden 20 Jahren nicht nach). Alles in allem werden Sie und ich bloß Nutzen aus einer Anstellung als Computer-Experte ziehen. Zudem bleibe ich Ihnen selbst nach Ablauf der auf 5 Jahre befristeten Arbeitserlaubnis erhalten, eine Rückwanderung nach Indien kommt für mich nämlich nicht in Frage. Ihre Investition wird sich daher langfristig auszahlen. Für die freundliche Aufnahme meines Bewerbungsschreibens und die schon jetzt abzusehende positive Reaktion bedanke ich mich im voraus und verbleibe mit freundlichen Grüßen |