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29. Oktober 2006, von Michael Schöfer
Berlin ist famos


Berlin, die deutsche Hauptstadt, ist zweifellos eine Reise wert. Sogar mehrere. Insgesamt war ich bislang dreimal in der Millionenstadt, die ja neuerdings mächtig unter ihrem riesigen Schuldenberg ächzt. Zuletzt in der vergangenen Woche. Man kann dem regierenden Bürgermeister, Klaus Wowereit, wirklich zustimmen: "Berlin ist arm, aber sexy." Das kulturelle Angebot ist üppig, das Regierungsviertel imposant, die alten Gebäude im Stadtkern sind prachtvoll, die Museen grandios und die Anzahl attraktiver Geschäfte oder Kneipen praktisch unüberschaubar. Man könnte vermutlich monatelang in Berlin verweilen - es wäre nie langweilig.




 
Der Reichstag, in der Reichstagskuppel
[Bilder: Michael Schöfer]


Das Sony-Center am Potsdamer Platz ist einfach atemberaubend, vor allem bei Nacht wirkt es richtig futuristisch. Das Ambiente hat etwas von einem Science-Fiction-Film, und es würde nicht verwundern, wenn man plötzlich Mr. Spock aus der Enterprise gegenüberstände.



 
Bundeskanzleramt, Sony-Center, Dachkonstruktion
[Bilder: Michael Schöfer]


Unvergeßlich ist sicherlich das Luxushotel Adlon, das sich angesichts des Preisniveaus leider nur Betuchte leisten können. Die Hotelbar steht nicht bloß den Hotelgästen offen, doch sollten sich Besucher unbedingt vorher erkundigen, was dort ein Pils kostet. Sündhaft teuer, wie ich versichern kann. Die Atmosphäre im Adlon ist jedenfalls phänomenal und jeden einzelnen Euro wert, besonders wenn man abends auch noch dem Klavierspieler lauschen darf.

Ein Muß für jeden Berlin-Besucher sind die Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Hohenschönhausen und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Jeder, der bislang noch der irrigen Auffassung ist, in der DDR hätte es so etwas wie Sozialismus gegeben, wird im Stasi-Gefängnis eines Besseren belehrt. Hier erkennt der Besucher, der von ehemaligen politischen Häftlingen durch den Komplex geführt wird, das wahre Gesicht der kommunistischen Diktatur. Rosa Luxemburg hat schon 1918 in ihrer Schrift "Zur russischen Revolution" vor der Deformation der Gesellschaft durch den Leninismus gewarnt. Zu Recht, wie sich am Ende herausgestellt hat. Es verwundert daher nicht, wenn der Begriff Sozialismus, eigentlich eine gute Idee und für mich untrennbar mit der Freiheit des einzelnen verbunden, heute vollkommen desavouiert ist.
  



 
Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen
[Bild links und Mitte: Michael Schöfer / Bild rechts: R.M.]





Denkmal für die ermordeten Juden Europas
[Bilder: Michael Schöfer]


Das Informationscenter unter dem Stelenfeld gibt dem Grauen ein Gesicht und holt die Opfer der Nazis aus der Anonymität heraus. An Einzelschicksalen wird deutlich, welch unvorstellbare Verbrechen auf dem Gewissen Deutschlands lasten. Nach dem Besuch fühlt man sich wie betäubt, zumindest auf mich hat es so gewirkt. Ich kann jeden nur ermutigen, sich mit der Geschichte Berlins, die einem praktisch an jeder Ecke begegnet, auseinanderzusetzen und sich die Stadt einmal selbst anzusehen. Es war bestimmt nicht mein letzter Besuch.