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16. April 2015, von Michael Schöfer
Placebo-Politik


Die Bundesregierung will Alleinerziehende steuerlich entlasten. "Bislang können Alleinerziehende - zusätzlich zu anderen Freibeträgen - 1308 Euro pro Jahr von der Steuer absetzen. Dieser Betrag soll nun um 600 auf 1908 Euro steigen. Und noch etwas soll sich ändern: Bislang galt der Betrag pauschal - unabhängig davon, wie viele Kinder in dem Haushalt lebten. Künftig soll er gestaffelt werden. Bei einem Kind gelten die 1908 Euro, für jedes weitere sollen 240 Euro dazu kommen." [1] Doch das ist, wenigstens zum Teil, bloß Placebo-Politik.

Von den rund 1,6 Millionen Alleinerziehenden beziehen nämlich 39 Prozent Hartz IV, profitieren also bislang weder vom Kindergeld (wird vollständig angerechnet) noch künftig - mangels Erwerbseinkommen - von der Erhöhung des Steuerfreibetrages. [2] "Insgesamt sind etwa zwei Drittel der alleinerziehenden Mütter mit minderjährigen Kindern erwerbstätig. Die Erwerbstätigkeit von alleinerziehenden Frauen hängt allerdings stark vom Alter der Kinder ab. Je jünger ein Kind ist, umso häufiger sind die Mütter nicht erwerbstätig", stellte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2012 selbst fest. "Von den alleinerziehenden Müttern mit Kindern unter drei Jahren sind mehr als drei Viertel nicht erwerbstätig und auf Transferleistungen angewiesen." [3]

Falls ein Erwerbseinkommen vorhanden ist, fällt es oft ziemlich niedrig aus. Immerhin 12 Prozent der alleinerziehenden Mütter gingen 2010 einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nach. Rund 39 Prozent der Alleinerziehenden (Mütter und Väter) verfügten damals "über ein Einkommen von weniger als 1.300 Euro pro Monat, fast die Hälfte hatte ein Einkommen zwischen 1.300 und 2.600 Euro zur Verfügung". [4] Bei einem jährlichen Erwerbseinkommen von 15.600 Euro (12 x 1.300 €) zahlt derzeit eine Alleinerziehende/ein Alleinerziehender in Steuerklasse I pro Jahr ganze 346 Euro Lohnsteuer. [5] Monatlich sind das lediglich 28,83 Euro. Sind weitere Freibeträge vorhanden, sinkt die steuerliche Belastung schon jetzt auf Null. Mit anderen Worten: Von der laut hinausposaunten Steuerentlastung der schwarz-roten Koalition werden viele Alleinerziehende kaum oder überhaupt nicht profitieren. Ausgerechnet die, die es am nötigsten hätten, die Hartz IV-Empfänger, gehen völlig leer aus. Und wie gehabt profitieren am meisten die, die ohnehin schon viel haben. Das Ganze ist demzufolge mehr Schein als Sein. Ginge es wirklich darum, die Armut Alleinerziehender zu bekämpfen, wäre die Abschaffung der Anrechnung des Kindergeldes auf Hartz IV-Leistungen wesentlich effektiver.

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[1] tagesschau.de vom 16.04.2015
[2] Bertelsmann-Stiftung, Pressemitteilung vom 10.03.2014
[3] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Alleinerziehende in Deutschland - Lebenssituationen und Lebenswirklichkeiten von Müttern und Kindern - Monitor Familienforschung, Ausgabe 28 vom 17.07.2012, PDF-Datei mit 960 kb, Seite 16 ff
[4] BMFSFJ, a.a.O.
[5] Bundesministerium der Finanzen, Lohn- und Einkommensteuerrechner