Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



15. August 2004, von Michael Schöfer
Rechtschreibung oder... was?


Ich habe es satt. Endgültig satt. Die diskussion um die deutsche rechtschreibung geht mir mächtig auf den keks. Ich will nicht mehr hin- und herpendeln zwischen neuer und alter rechtschreibung. Ist mir doch egal, ob es nach der alten heißt "Es tut mir leid", nach der neuen hingegen "Es tut mir Leid". Übrigens, in der neuen rechtschreibung, um die verwirrung komplett zu machen, gilt trotzdem "Ich bin es leid". Wo ist da die logik, die auf den ersten blick zu erkennende regel? So etwas können sich nur lebensfremde bürokraten ausdenken. Wenn jemand leidet, dann ich. Und mit mir leiden viele millionen andere, vor allem unter dem angerichteten chaos. Soll ich jetzt von der Frankfurter Rundschau (die verfechten seit langem die neue) zum Spiegel (die verfechten neuerdings wieder die alte) wechseln? Oder vielleicht gleich zur FAZ (die verfechten schon länger die alte), weil die inhalte möglicherweise doch sekundär sind? Ich bin ratlos, völlig ratlos.

Wenn die bürokraten, die sich das ganze ausgedacht haben, wirklich glauben, daß die welt einfacher wird, wenn man nach der neuen rechtschreibung "Angst und Bange machen" groß schreibt (anstatt wie früher "angst und bange"), es aber weiterhin heißen muß "mir ist angst und bange", dann sagt das alles. Korrekt soll ja jetzt "gestern Abend" sein (anstatt wie früher "gestern abend"), aber man darf gleichwohl unter "heute Früh" (groß geschrieben) und "heute früh" (klein geschrieben) auswählen. Wie praktisch. Auswählen darf man überhaupt viel, viel mehr als früher. "Er erschrak aufs Äußerste" ist ebenso erlaubt wie "Er erschrak aufs äußerste", "hierzulande" darf auch "hier zu Lande" geschrieben werden. Na toll. Warum nicht gleich alles freigeben? Weil es vielleicht doch zu einfach wäre? Wer kauft dann noch den rechtschreibduden? Oha!

Fazit: Die regeln für die groß- und kleinschreibung muß man sich wie eh und je mühsam beibringen, eine durchgängige und leicht einprägsame regel gibt es nicht. Leider. Alles wie gehabt also. Bloß halt etwas anders, manches neuerdings groß, manches nach wie vor klein. Hinzu kommt die äußerst verwirrende getrenntschreibung. Es heißt etwa "Besitz ergreifend", aber nicht "Sinn entstellend", sondern "sinnentstellend". Da soll einer durchblicken. "Rad fahren" und "Eis laufen" bedeutet freilich nicht, daß wir jetzt "Ketten rauchen". Zum glück. Das gab offenbar selbst der kultusministerkonferenz zu denken. Ich persönlich rauche eh immer nur zigaretten, niemals ketten. In ketten sind mir viel zu viel schwermetalle drin. Sicherlich, für jeden fall findet man eine spitzfindige regel, warum man dieses oder jenes gerade groß bzw. klein, zusammen bzw. getrennt zu schreiben hat. Aber muß es so kompliziert sein?

Können wir es nicht machen wie die engländer, einfach alles klein schreiben, ohne vorher lange nachdenken oder im duden suchen zu müssen? Dementsprechend würde man nur eigennamen und den satzanfang groß schreiben. Das große "Ich" (analog zum englischen "I") müssen wir ja nicht übernehmen, im deutschen wirkt das nämlich ein bißchen hochnäsig. Diese lösung wäre jedenfalls viel, viel einfacher, denn es würde nur noch eine einzige regel gelten: man schreibt bloß noch klein - unabhängig vom jeweiligen kontext. Bei der getrenntschreibung bevorzuge ich die alte schreibweise, bei den kommaregeln sind die neuen wesentlich besser. Beim "daß" oder "dass" will ich gar nicht dogmatisch sein. Nur bitte nicht völlig abschaffen, sonst müßte ich meiner freundin in briefen immer "Ich bewundere deine masse" schreiben, anstatt "Ich bewundere deine maße". Ein kleiner, aber beziehungsfördernder unterschied, finden sie nicht auch?

Daraus ließe sich doch gewiß eine tiefgreifende, aber enorm hilfreiche rechtschreibreform zimmern. Alles in allem wäre das wenigstens eine reform, die ihren namen zu recht verdienen würde. Eine solche regelung hätte außerdem den vorteil, daß man nicht ständig, wie zur zeit, zwischen verschiedenen schreibweisen hin- und herpendeln muß, je nachdem, welche publikation man gerade zur hand hat. Zumindest, wenn sich alle damit einverstanden erklären. Dann könnte man die Frankfurter Rundschau oder die FAZ endlich wieder nach ihrem inhalt auswählen, und nicht nach der erwünschten schreibweise. Den schülern, die in den letzten jahren mit der neuen rechtschreibung aufgewachsen sind, würde die umstellung gewiß leicht fallen. Die arbeit am computer ginge sogar flotter voran, da man nicht so oft die umschalttaste drücken müßte, was bekanntlich aufhält. Mensch, unternehmer, bedenkt doch die zu erwirtschaftende effizienzrendite!

Sprache, wozu insbesondere die schriftsprache gehört, dient der vermittlung von inhalten. Wenn die rechtschreibreform rasch abgehakt wird, können wir im sommerloch vielleicht über die wirklich wichtigen dinge diskutieren. Über Hartz IV beispielsweise. Ob man "kürzung auf sozialhilfenivau" groß oder klein schreibt, ist den langzeitarbeitslosen nämlich völlig gleichgültig.