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16. Mai 2005, von Michael Schöfer
Li Peng Karimow

Erst Georgien (Rosenrevolution), dann die Ukraine (orangene Revolution) und schließlich Kirgisien (Tulpenrevolution): Seit November 2003, als Michail Saakaschwilli dem georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse die Macht entriß, wurden in den ehemaligen Sowjetrepubliken zwei weitere Autokraten gestürzt. In Usbekistan stand nun die vierte Revolution vor der Tür, aber Staatspräsident Islam Karimow hat sich nicht für die friedliche Lösung und den damit einhergehenden Machtverlust entschieden, sondern für die chinesische Variante. Wie Li Peng am 4. Juni 1989 in Peking, ließ Karimow in der Stadt Andischan das Militär auf die Demonstranten schießen. Den Pressemeldungen zufolge sollen dabei ungefähr 500 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, ums Leben gekommen sein. 2000 seien verletzt, heißt es. Aus Islam Karimow wurde Li Peng Karimow.

Natürlich rechtfertigte sich Usbekistans Präsident damit, die Demonstranten hätten einen radikalislamischen Aufstand angezettelt, seien am Massaker also quasi selbst schuld. "Sie wollen einen Staatsstreich ausführen und dann einen muslimischen Gottesstaat errichten", behauptete Karimow. Diese These ist freilich umstritten. Nach dem Augenzeugenbericht des Journalisten Marcus Bensmann waren die Demonstranten mehrheitlich unbewaffnet, was kaum für einen organisierten Putschversuch spricht. "Die Soldaten hätten einfach in eine friedliche Menschenmenge geschossen", so Bensmann. Hintergrund für die Demonstrationen ist neben der staatlichen Repression (amnesty international spricht von rund 6000 politischen Gefangenen) vermutlich die schlechte Wirtschaftslage. 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, der Durchschnittslohn beträgt 25 Dollar im Monat, jeder dritte Erwachsene ist arbeitslos.

Augenscheinlich will sich Karimow, der Usbekistan seit 1991 diktatorisch regiert, unter allen Umständen an den Schalthebeln der Macht halten. Die Opposition bezeichnet er dabei gerne als islamische Fundamentalisten, weil er sich auf diese Weise von Rußland und vom Westen Rückendeckung erhofft. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow sprang Karimow denn auch flugs bei und erklärte, die Unruhen seien von einer den Taliban ähnlichen Gruppierung geplant und durchgeführt worden. Und bei der Bekämpfung des Islamismus ist offenbar jedes Mittel recht. Diese Argumentationslinie gilt in Tschetschenien schon seit langem. Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, hat aber auch den USA und Großbritannien vorgeworfen, den usbekischen Präsidenten Islam Karimow viel zu lange unterstützt zu haben. Der Westen habe die usbekische Regierungspropaganda geschluckt, die die Opposition als islamische Extremisten darstelle, sagte Murray.

Usbekistan liegt in einer politisch und ökonomisch äußerst sensiblen Region. Als Nachbar von Afghanistan bot Karimow dem amerikanischen Militär nach dem 11. September 2001 Stützpunkte für den Feldzug gegen die Taliban an. Die Bundeswehr unterhält dort ebenfalls eine Operationsbasis. Die Bodenschätze Zentralasiens, hauptsächlich Erdöl, sind noch weitgehend unerschlossen. Der Westen versucht, den russischen Einfluß in der rohstoffreichen Region peu a peu zurückzudrängen. Wladimir Putin kann hingegen eine vierte Revolution in Rußlands ehemaligem Einflußgebiet kaum gebrauchen. Die Russen fühlen sich eingekreist und sehen ihren früheren Machtbereich allmählich zerbröseln. Nicht zuletzt aus diesem Grund stand Putin schon bei den drei vorangegangenen Revolutionen auf der falschen Seite.

Vermutlich ist Putin mit den ihm noch verbliebenen Autokraten, u.a. Weißrußlands Präsident Aleksander Lukaschenko, den er zuletzt Anfang April 2005 getroffen hat, übereingekommen, bei der nächsten Gelegenheit die chinesische Lösungsvariante zu wählen. Er erhofft sich dadurch nicht nur, den geschrumpften russischen Einflußbereich zu halten, sondern ebenso Unterstützung für seinen Kurs der "gelenkten Demokratie". Rußland kann jedoch durch diese törichte Politik langfristig nur verlieren, weil es sich dabei international immer mehr isoliert. Die krampfhaft gehaltenen Nachbarstaaten seines Einflußbereichs haben indes nicht das politische und ökonomische Gewicht, die Verluste dieser selbst herbeigeführten Isolation auszugleichen. Mit jeder erfolgreichen Revolution verliert der russische Präsident sein Gesicht, weil er sich stets für die Unterdrücker stark macht, nicht für die Unterdrückten. Bei einer chinesischen Lösung, wie jetzt in Usbekistan vorexerziert, verliert er es allerdings genauso. Mit anderen Worten: Putin manövriert sich und sein Land in eine Sackgasse.