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06. Juni 2005, von Michael Schöfer
Koranschändungen: Hatte Newsweek doch recht?

Als am 9. Mai 2005 das Magazin "Newsweek" unter Berufung auf eine anonyme Quelle aus dem Pentagon von Koranschändungen im Gefangenenlager auf Guantanamo berichtete, kam es weltweit zu blutigen antiamerikanischen Protesten, bei denen mindestens 17 Menschen getötet wurden. Newsweek verbreitete, daß Aufseher den Koran mehrfach absichtlich in eine Toilette gelegt und in einem Fall sogar heruntergespült hätten. Nachdem sich jedoch die anonyme Quelle plötzlich nicht mehr sicher war, ob es auf Guantanamo tatsächlich zu Koranschändungen gekommen sei, zog Newsweek den Artikel unter großem Bedauern zurück. Der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, forderte daraufhin das Magazin empört auf, den Schaden zu reparieren, den das Image der USA erlitten habe. Weder das Weiße Haus noch das Pentagon hätten Anhaltspunkte, daß an den Behauptungen etwas Wahres dran sei. Der Bericht beruhe auf falschen Fakten, sagte McClellan damals. [1]

Nun muß das US-Militär doch Koranschändungen auf Guantanamo einräumen. Ein Untersuchungsbericht hat nämlich bestätigt, daß der Koran respektlos behandelt wurde. Teils aus Absicht, teils aus Versehen, wie es heißt. Dabei wäre das heilige Buch der Moslems in einem Fall mit dem Urin eines Wachsoldaten beschmutzt worden. Selbstverständlich ganz ohne Absicht. Ein Wachsoldat habe sich in der Nähe eines Luftschachtes erleichtert und der Wind habe seinen Urin durch den Luftschacht in den Zellenblock getragen. In zwei Fällen sollen Koran-Ausgaben getreten worden sein, in einer Ausgabe habe jemand obszöne Bemerkungen an den Rand gekritzelt. Auch für den Vorwurf, ein Koran sei die Toilette heruntergespült worden, fanden sich Hinweise. Doch habe dies angeblich ein Gefangener selbst getan, der den Koran auf diese Weise zerstören wollte. In 14 weiteren Fällen hätten Gefangene den Koran selbst entweiht, in einem Fall durch Urinieren. Klingt alles ziemlich plausibel, nicht wahr?

Entweihungen des Koran seien in Guantanamo "äußerst seltene Vorkommnisse", heißt es jetzt kleinlaut. Und Präsidentensprecher Scott McClellan behauptet allen Ernstes, US-Soldaten seien "den höchsten Maßstäben verpflichtet", auch, "wenn es um Respekt und Schutz der religiösen Freiheit geht". Klar doch, daran zweifelt natürlich niemand. Zu den US-Medien meinte er: "Es ist bedauernswert, dass einige beschlossen haben, einige wenige isolierte Vorfälle von einigen wenigen Einzelpersonen aus dem Zusammenhang zu nehmen, ohne die Politik und Vorgehensweisen der großen Mehrheit, den 99,9 Prozent unserer Militärangehörigen, zu verdeutlichen". [2]

Zwischen "falschen Fakten" und "nichts Wahres dran", Präsidentensprecher McClellan Mitte Mai, und "wenigen isolierten Vorfällen", Präsidentensprecher McClellan heute, besteht indes ein himmelweiter Unterschied. Es ist der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge. Selbst in der Defensive kann sich das Weiße Haus nicht verkneifen, die angeblich boshafte Presse anzugreifen. Von Reue keine Spur. Ebensowenig von einem klaren Bekenntnis zur Pressefreiheit. Das Image der USA ist freilich nicht durch Newsweek beschädigt worden, sondern durch die unhaltbaren Zustände auf Guantanamo und andernorts. Dabei zählen Koranschändungen in meinen Augen noch zu den geringsten Verstößen. Viel gravierender ist die Tatsache, daß den Gefangenen nach wie vor grundlegenden Rechte, etwa das auf einen Anwalt oder ein ordentliches Gerichtsverfahren, vorenthalten wird.

Meldungen, in den Lagern und Gefängnissen der USA werde gefoltert, reißen ebenfalls nicht ab. In einem gerade veröffentlichten Untersuchungsbericht des US-Militärs wird auf 2.000 Seiten minutiös die tödliche Folter an zwei Gefangenen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram beschrieben. [3] Natürlich sind es laut US-Regierung auch hier lediglich "isolierte Problemfälle". Schuld sind immer nur die Soldaten vor Ort, nie die Befehlskette bis hin zum Oberbefehlshaber. Die USA respektierten Menschenrechte und die Menschenwürde, behauptet US-Präsident Bush kühn. Fragt sich bloß wo. Und die amerikanische Öffentlichkeit rätselt unterdessen, warum die Amerikaner in der Welt so unbeliebt sind. Das ist angesichts der Vorfälle in der Tat ein Rätsel. Ob es wohl je gelöst wird?

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[1] Tagesschau.de vom 18.05.2005
[2] Frankfurter Rundschau vom 06.06.2005
[3] Kurier.at vom 20.05.2005