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26. Juni 2005, von Michael Schöfer
Islamischer Fundamentalist gewählt


Mahmud Ahmadinedschad, der Bürgermeister von Teheran, hat mit 62,1 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahl im Iran gewonnen. Dies kam zumindest für westliche Beobachter völlig überraschend, die mehrheitlich auf den als moderat eingeschätzten Ex-Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani gesetzt haben. Ahmadinedschad wird als "islamischer Robin Hood" bezeichnet, weil er sich um die Nöte der kleinen Leute kümmert und selbst, im Gegensatz zu seinem steinreichen Konkurrenten, einen bescheidenen Lebensstil pflegt. Ahmadinedschad fordert die Umverteilung des Reichtums zugunsten der Armen und plädiert ausdrücklich für eine Rückbesinnung auf islamische Werte. Beobachter befürchten deshalb eine "Talibanisierung" Irans. Nach Ansicht der USA hat sich der Iran damit gegen den "allgemeinen Demokratisierungstrend" in der Region gestellt. [1]

Die Wahl Ahmadinedschads belegt m.E. dreierlei:

Erstens: Es ist äußerst fraglich, ob die iranische Gesellschaft gegenwärtig von innen heraus reformfähig ist. Dem als Reformer geltenden amtierenden Präsidenten Mohammed Chatami ist während seiner gesamten Amtszeit kein entscheidender Durchbruch gegen die konservativen Kleriker gelungen. Seine Anhänger, die ihn zweimal ins Amt hievten, haben jetzt offenbar resigniert. Die Institutionen Irans sind nach wie vor fest in der Hand der Mullahs. Ajatollah Ali Chamenei, das religiöse Oberhaupt, der im iranischen Machtgefüge die zentrale Position einnimmt, ernennt die Hälfte der Mitglieder des Wächterrates. Die andere Hälfte wird vom obersten Richter ernannt, der jedoch wiederum von Chamenei bestimmt wird. Der zwölfköpfige Wächterrat besitzt ein Vetorecht gegen sämtliche Gesetze und überprüft die Kandidaten zur Parlaments- und Präsidentschaftswahl. Ohne die Zustimmung des Wächterrats kann also niemand kandidieren, was die Auswahl von vornherein einengt. Demokratisch (nach westlichen Maßstäben) sind die Wahlen im Iran somit nicht.

Zweitens: Der Sieg Ahmadinedschads kam für westliche Beobachter unerwartet. Der Westen muß sich deshalb ernsthaft fragen, ob er die gesellschaftlichen Vorgänge im Iran wirklich versteht. Offensichtlich stimmt die Einschätzung des Westens nicht mit der dortigen Realität überein. Es scheint zwar, wie frühere Wahlgänge im Iran belegen, relevante Bevölkerungsteile zu geben, die die Mullahherrschaft ablehnen. Doch ob damit gleichzeitig eine Demokratisierung nach westlichem Vorbild angestrebt wird, ist zweifelhaft. Zumindest die armen und meist ungebildeten Massen denken, wie die jüngste Wahl zeigt, ganz anders. Für den friedlichen Wandel hin zu einer säkularen Demokratie gibt es im Iran momentan vermutlich keine ausreichende gesellschaftliche Basis. Und ein von außen inszenierter Umsturz des Regimes würde dem Westen - siehe Irak - wohl mehr Probleme aufhalsen, als er hierdurch lösen könnte.

Drittens: Die falsche Einschätzung der gesellschaftlichen Realität betrifft nicht nur den Iran, sie gilt für die gesamte Region. Wenn Washington einen "allgemeinen Demokratisierungstrend" feststellt, so ist das reines Wunschdenken. In Ägypten etwa wurde zwar kürzlich auf amerikanischen Druck hin die Verfassung geändert, demokratischer wurde das Land hierdurch allerdings nicht. Kandidaten zur Präsidentschaftswahl dürfen nämlich nur von Parteien aufgestellt werden, die "mindestens fünf Jahre existieren und fünf Prozent der Parlamentsabgeordneten stellen". Die Zulassung neuer Parteien wird freilich immer wieder abgelehnt. "Eine zusätzliche Partei sei nicht nötig, da bereits bestehende Parteien deren Programm abdeckten", lautet die merkwürdige Begründung. Keine der bestehenden Oppositionsparteien konnte bislang mehr als sieben der insgesamt 454 Parlamentssitze erobern. Und unabhängige Kandidaten müssen die Unterstützung von mindestens 250 Parlamentsabgeordneten vorweisen, um zugelassen zu werden. [2] Mit anderen Worten: Die Opposition ist auf die Zustimmung der Regierungspartei angewiesen. Das wäre so, als ob in Deutschland die Gründung der "Linkspartei" von der Zustimmung der SPD abhängig und ihre Kandidatur nur mit dem Segen der etablierten Parlamentsfraktionen statthaft wäre. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak sitzt also auch nach der Verfassungsänderung fest im Sattel. Was daran für einen Demokratisierungstrend spricht, ist schleierhaft.

Die Situation ist verfahren und man fragt sich unwillkürlich, welche Alternativen überhaupt existieren. Es ist bezeichnend, daß es dafür im Westen keine plausible Antwort gibt. Die stillschweigende Duldung autoritärer Regime, wenigstens solange sie dem Westen nützlich sind, ist keine dauerhaft tragfähige Lösung. Denn sie verhindern gerade das, was der Westen anstrebt: den Wandel hin zur säkularen Demokratie. Solange man an den Despoten festhält, wächst der islamische Fundamentalismus. Entzieht man den Despoten jedoch die Unterstützung, kommen vermutlich ausgerechnet die Islamisten an die Macht. Das ist das grundlegende Dilemma. Zur Zeit entscheidet man sich eben für das aus westlicher Sicht kleinere Übel. Wahrlich ein gordischer Knoten, den zu entwirren gegenwärtig niemand in der Lage ist.

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[1] SPIEGEL-Online vom 25.06.2005
[2] Frankfurter Rundschau vom 13.05.2005