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06. August 2005, von Michael Schöfer
Deutschland als ständiges Mitglied?


Früher glaubte man zunächst an einen persönlichen Spleen des ehemaligen Außenministers Klaus Kinkel (FDP), als dieser 1993 mit der Forderung an die Öffentlichkeit trat, Deutschland müsse ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat werden. Schließlich hatte die Bundesrepublik gerade den Beitritt der DDR zu verkraften, mithin wesentlich drängendere Probleme am Hals. Doch Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ließ Kinkel gewähren, denn an eine zeitnahe Realisierung war damals sowieso nicht zu denken. Das hat sich mittlerweile geändert, Deutschland ist einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat tatsächlich ein gutes Stück näher gekommen.

Die G-4-Gruppe (Japan, Indien, Brasilien und Deutschland) hat im Mai 2005 einen Resolutionsentwurf vorgelegt, der den Sicherheitsrat um weitere sechs ständige und vier nichtständige Mitglieder vergrößern sollte. "Zu den bisherigen 5 ständigen Mitgliedern (USA, Russland, China, Frankreich, GB) sollen neu hinzukommen: 2 Länder aus Asien (Japan, Indien), 1 Land aus Lateinamerika (Brasilien), 1 Land aus Europa (Deutschland), 2 Länder aus Afrika (mögliche Kandidaten: Nigeria, Südafrika, Ägypten). Die 14 nichtständigen Mitglieder sollen wie bisher alle 2 Jahre wechseln."

Für den Erfolg des Antrags muß eine Zwei-Drittel-Mehrheit der 191 UN-Mitgliedsstaaten erreicht werden. Doch nachdem die Afrikanische Union (AU) weiterhin auf ihrem eigenen Vorschlag besteht, der im Gegensatz zur G-4-Gruppe für die sechs zusätzlichen ständigen Mitglieder das Veto-Recht fordert (Artikel 27 Abs. 3 der UN-Charta), dürfte diese Mehrheit in der UN-Vollversammlung in weite Ferne gerückt sein. Ohne die 53 Stimmen Afrikas ist sie kaum zu erreichen.

Es war natürlich von vornherein klar, daß eine wie auch immer geartete Reform des UN-Sicherheitsrats auf großen Widerstand stoßen würde. So ist etwa Italien als Mitglied der Konsens-Gruppe, zu der unter anderem Argentinien, Kanada, Pakistan, Spanien und die Türkei gehören, strikt gegen den G-4-Vorschlag, denn dieser hätte zur Folge, daß Italien als einziger großer EU-Staat keinen ständigen Sitz einnehmen würde. Frankreich und Großbritannien sind ja bereits von Anfang an ständiges Mitglied, Deutschland käme nach dem Vorschlag der G-4-Gruppe hinzu. Auch China, ebenfalls von Beginn an dabei, kann sich nur schwer mit einer Mitgliedschaft des ehemaligen Kriegsgegners Japan abfinden. Grundsätzlich wachen alle mit Veto-Recht ausgestatteten Mitglieder eifersüchtig über ihr Privileg, weshalb auch die USA wenig Begeisterung zeigten.

Andererseits ist die seit 1945 bestehende Struktur des Sicherheitsrates nicht mehr repräsentativ für die heutige Staatenwelt. Die Bedeutung von Frankreich und Großbritannien ist zwischenzeitlich gesunken. Obwohl sie Atomwaffen besitzen, ist ihre militärische und ökonomische Stärke erheblich kleiner als damals, derzeit sind sie lediglich als Mittelmächte einzustufen. Die gegenwärtige Zusammensetzung des Sicherheitsrates spiegelt weder die wachsende Bedeutung Asiens noch die unterdessen errungene Unabhängigkeit Afrikas wider. Als die Vereinten Nationen gegründet wurden, war fast ganz Afrika noch Kolonie. Insofern ist eine Reform des Sicherheitsrats in der Tat überfällig.

Es ist aber kaum einzusehen, warum künftig sogar drei EU-Staaten permanentes Mitglied sein sollen. So groß ist die Bedeutung der Europäischen Union nicht. Besser wäre vielmehr, wenn die EU dort nur einen einzigen Sitz hätte, das käme ihrem wahren Status gleich. Außerdem wäre es vorteilhafter, das Veto-Recht der ständigen Mitglieder ganz abzuschaffen. Das Veto-Recht ist ein Anachronismus, es gar auszuweiten, wie der Vorschlag der AU verlangt, ist demzufolge kontraproduktiv. Eine Übereinkunft bei strittigen Fragen wäre nämlich fortan noch schwerer zu erreichen als bisher. Ein Sitz für Deutschland ist nicht so wichtig, wesentlich dringender ist die echte Demokratisierung des Leitungsgremiums. Nationale Eitelkeit müßte hinter diesem Ansinnen eigentlich zurückstehen. Wenn bei einer Reform die Forderung nach Demokratisierung im Mittelpunkt steht, und nicht ob dieser oder jener ebenfalls Privilegien erwirbt, würde der Druck auf die bisherigen Veto-Mächte, sich einer solchen Reform nicht länger zu verschließen, enorm steigen. Das könnte den Vereinten Nationen nur nutzen.