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05. September 2005, von Michael Schöfer
Das TV-Duell


Normalerweise bleibt bei einem Duell in der Regel einer der Duellanten auf der Strecke. Diesmal nicht. Weder Gerhard Schröder noch Angela Merkel ist ein gravierender Fehler unterlaufen, doch hat auch keiner von beiden wirkungsvoll punkten können. Zwar fanden nach einer Umfrage von Infratest-dimap 49 Prozent der repräsentativ ausgewählten Zuschauer den Amtsinhaber überzeugender, trotzdem sind die 33 Prozent für Merkel noch lange kein Desaster. Der Abstand von CDU/CSU zur SPD wird sich durch dieses TV-Duell wohl kaum entscheidend verringern. Dennoch ist die Wahl entgegen dem ersten Anschein nach wie vor offen.

Die aktuelle Sonntagsfrage von Infratest-dimap ("Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären...) ergab für die Union beeindruckende 43 Prozent. Die SPD dagegen krebst bei kargen 32 Prozent herum, während die Linkspartei auf neun und die Grünen auf sieben Prozent kommen. Interessant ist jedoch das Ergebnis für die FDP, die jetzt nur noch sechs Prozent erhalten würde. Alles in allem ergibt das für Schwarz-Gelb 49 Prozent, während die anderen Parteien zusammen auf 48 Prozent kommen.

Aber die Möglichkeit, daß die FDP in den nächsten zwei Wochen der 5-Prozent-Hürde gefährlich nahe kommt, ist nicht von der Hand zu weisen (Mitte Juli hatte sie bei Infratest-dimap noch 8 Prozent) und macht die Wahl bis zum letzten Tag spannend. Denn ohne FDP guckt die Union ziemlich dumm aus der Wäsche, selbst wenn sie die prognostizierten 43 Prozent erhalten sollte. Sie wäre dann zwar mit großem Abstand stärkste Partei, hätte aber keine Mehrheit der Mandate. Ein Prozent Unterschied - das kann so ein TV-Duell schon wettmachen. Insofern ist der Vorsprung Schröders bei den Fernsehzuschauern für Merkel nicht ungefährlich.

Angie hat sich gleichwohl wacker geschlagen und hinterließ einen sympathischen Eindruck, ihre PR-Berater haben ganze Arbeit geleistet. Vom Bundeskanzler ist ja hinlänglich bekannt, daß er in der Glotze seine medialen Stärken ausspielen kann. Allerdings: Die CDU-Parteivorsitzende wird die Geister, die sie rief, so schnell nicht wieder los. Inhaltlich ausschlaggebend waren in meinen Augen beim TV-Duell die erkennbaren Widersprüche des Kirchhof-Modells. Sie selbst hat Paul Kirchhof in ihr Kompetenzteam aufgenommen und will ihn im Falle eines Wahlsiegs zum Finanzminister küren. Doch die vermeintlichen "Visionen" des Verfassungsjuristen stimmen nicht mit dem Wahlprogramm von CDU und CSU überein. Noch schlimmer: Alle Länderregierungen, inklusive die von der Union geführten, taxieren die Ausfälle bei den Steuereinnahmen im ersten Jahr auf rund 43 Mrd. Euro.

Gegenfinanziert werden soll das Ganze durch radikalen Subventionsabbau. 418 steuermindernde Ausnahmetatbestände will Kirchhof abschaffen. Das ist mittlerweile bekannt, wenngleich selbst Experten noch immer über die Anzahl staunen. Die Liste, welche Ausnahmetatbestände das konkret sind, wird freilich geheim gehalten. Sie soll erst nach der Wahl veröffentlicht werden. Ein böser Schnitzer, der zu Recht Mißtrauen weckt. Offenbar will man vermeiden, vor dem Urnengang allzu viele Wähler abzuschrecken. Und die Antwort, die Merkel vor laufender Kamera zum besten gab, war an Dürftigkeit kaum zu überbieten. Sie empfahl den Zuschauern, in der nächsten Bahnhofsbuchhandlung einfach den "großen Konz - 1000 ganz legale Steuertricks" zu erwerben. Darin könne man dann sehen, was Kirchhof alles abschaffen wolle. Peinlich und niveaulos.

Anders als die Union und Kirchhof suggerieren, werden nicht alle Subventionen abgeschafft. So will der als Steuerexperte geltende ehemalige Verfassungsrichter am Ehegattensplitting ausdrücklich festhalten. Und dem Wahlprogramm der Union zufolge soll etwa die Erbschaftsteuer bei einem Generationswechsel im Mittelstand zunächst während des Betriebsübergangs gestundet und nach einer Unternehmensfortführung von 10 Jahren ganz entfallen. Unbestritten Steuervorteile. Mit anderen Worten: Subventionen. Eine soll beibehalten, eine andere sogar neu geschaffen werden. Diese inneren Widersprüche machen es Angela Merkel schwer, den Wählerinnen und Wählern klar vor Augen zu führen, was sie eigentlich will. Unter Umständen entwickelt sich das zur ihrer Achillesferse. Abwarten. Es sind noch 13 Tage bis zur Wahl.