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20. September 2005, von Michael Schöfer
Die Verlierer


Wie immer man das Ergebnis der Bundestagswahlen interpretieren mag, ein Verlierer steht schon jetzt fest: die Demoskopie. Allensbach sah die Union (BTW-Ergebnis 35,2 Prozent) noch am 16. September, also zwei Tage vor der Wahl, bei 41,5 Prozent. Und Forsa prognostizierte für die Union am gleichen Tag 41 bis 43 Prozent. Damit lagen die Meinungsforscher im Schnitt 6,5 Prozent unter dem tatsächlichen Ergebnis.

Kein Wunder, daß Angela Merkel ihre Enttäuschung kaum verbergen konnte, sie hat eben ihre Gesichtszüge nach wie vor nur mangelhaft unter Kontrolle. Das genaue Gegenteil des freudetrunkenen Bundeskanzlers (oder war es doch der Alkohol, nicht bloß die reine Freude?). Die "gefühlte Kanzlerin" wurde jedenfalls unerwartet heftig aus allen Regierungsträumen gerissen und landete recht unsanft auf dem harten Boden der Realität. 6,5 Prozent mehr hätten - zusammen mit der FDP - locker zum Wahlsieg ausgereicht. Ein bißchen, menschlich gesehen, kann sie einem fast leid tun. So kurz vor der Ziellinie noch abgefangen zu werden, das ist bitter und tut ungemein weh.

Seit der Bundestagswahl am 22. September 2002 lag die Union in Umfragen meist bei deutlich über 40 Prozent und kam gelegentlich sogar der absoluten Mehrheit nah. Nichts war's. Umfragewerte sind heutzutage nur mit einer guten Portion Skepsis zu bewerten. Viele Wähler sind offenbar noch kurz vor der Wahl unentschlossen oder ändern kurzfristig ihre Meinung. Anders ist der jähe Absturz der Union nicht zu erklären. Die Taktik den Kanzlers, bis zum letzten Tag um die Gunst des Wahlvolks zu kämpfen, hat zumindest teilweise Erfolg gehabt. Allen Unkenrufen zum Trotz hat er an ein besseres Ergebnis als die für die SPD noch Ende August vorhergesagten 30 Prozent geglaubt. Nicht zu Unrecht, wie man sieht, wenngleich es nicht zu einer eigenen, rot-grünen Mehrheit gereicht hat.

Welches Fazit muß man daraus ziehen? Das längst bekannte: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Nie war es richtiger als heute.