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06. November 2005, von Michael Schöfer
Das Land der Freiheit mutiert zum Leviathan


Nach einem Bericht der Washington Post soll der amerikanische Geheimdienst CIA auch in Osteuropa Geheimgefängnisse unterhalten. Ein globales Netz von geheimen CIA-Gefängnissen bestehe seit vier Jahren, schrieb das Blatt unter Berufung auf nicht näher bezeichnete Geheimdienstexperten, Beamte und Diplomaten. [1] Bislang gibt es dafür aber keine Beweise. Die Europäische Union glaubt nicht an die Existenz solcher Geheimgefängnisse - zumindest nicht auf dem Staatsgebiet der EU.

Erst kürzlich haben die USA den Vereinten Nationen untersagt, auf Guantanamo mit den Häftlingen Gespräche zu führen. Seit vier Jahren bemühen sich die UN, Zugang zum Gefangenenlager des US-Militärstützpunkts auf Kuba zu erhalten. Im Oktober erteilte die Regierung dafür erstmals die Erlaubnis. Aber die USA stellen Bedingungen. Unter anderem darf nicht mit den Gefangenen gesprochen werden, außerdem wurden zwei der fünf Inspektoren abgelehnt.

"Selbst China stelle für Besuche in seinen Gefängnissen keine solchen Bedingungen, sagte der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak. (...) Er könne die Einladung [zur Inspektion, Anm. d. Verf.] aber nur annehmen, wenn die USA ihm gestatteten, das gesamte Lager zu sehen und ungehindert mit Häftlingen zu sprechen. Beides sei zurzeit nicht der Fall." Nowak fügte hinzu: "Wir können keine niedrigeren Standards akzeptieren als bei anderen Ländern." [2]

Ins Bild fügt sich auch die Absetzung eines Gesetzes von der Tagesordnung des US-Abgeordnetenhauses, das Folter bei Verhören von Terrorverdächtigen verbieten wollte. Das Weiße Haus besteht nämlich darauf, den Geheimdienst CIA von Beschränkungen bei den Verhörpraktiken auszunehmen. Begründet wird das mit dem Schutz vor Terrorismus. [3] Die Folterpraktiken in Abu Ghraib wurden stets als Eigenmächtigkeit der dortigen Soldaten dargestellt. Grundsätzlich hat man offenbar jedoch nichts gegen derartige Foltermethoden einzuwenden, sonst könnte man ja einem gesetzlichen Verbot bedenkenlos zustimmen. Nicht die Existenz von Folter ist der Bush-Regierung unangenehm, sondern lediglich die Veröffentlichung entsprechender Beweise.

Man kann es eigentlich kaum glauben. Das Land, das sich selbst als Land der Freiheit bezeichnet, beraubt Menschen seit Jahren jeglicher Menschenrechte. Dazu gehört zum Beispiel, nicht ohne konkrete Anklage und einen fairen Prozeß inhaftiert zu sein. Dazu gehört ferner die körperliche Unversehrtheit. Daß sich die USA hartnäckig weigern, Menschenrechtsstandards anzuerkennen, spricht Bände. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn das Ansehen der Vereinigten Staaten in den Augen der Weltbevölkerung tiefgreifend beschädigt ist. Letztlich geht es nicht darum, ob tatsächlich CIA-Geheimgefängnisse in der EU existieren. Das eigentliche Problem ist, daß man den USA inzwischen so etwas durchaus zutraut. Das Land der Freiheit ist wohl endgültig zum Leviathan mutiert, vor dem man sich fürchten muß, weil er keinerlei Rechte mehr anerkennt.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 03.11.2005
[2] Frankfurter Rundschau vom 02.11.2005
[3] Frankfurter Rundschau vom 05.11.2005