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23. November 2005, von Michael Schöfer
Das Lächeln der Siegerin


Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich an den Ergebnissen ihrer Arbeit messen lassen, als Kriterium nennt sie hierbei die Verringerung der Arbeitslosigkeit: "Ich glaube, dass für die Menschen ein ganz wichtiger Punkt ist: Gelingt es, dass wir wieder mehr Menschen haben, die Arbeitsplätze haben", sagte Merkel. Zugleich "werden wir in einer Demokratie daran gemessen, ob die Menschen für sich persönlich die Arbeit dieser Regierung als einen Erfolg empfinden." [1] Angela Merkel hat damit, allerdings im Gegensatz zu ihrem Vorgänger ohne eine konkrete Zahl zu nennen, den Maßstab vorgegeben, an dem man ihre Regierungszeit messen wird. Gerhard Schröder ist bekanntlich genau daran gescheitert.

Ideologie bringt uns in bezug auf die Reduzierung der Arbeitslosigkeit nicht weiter. Alle Maßnahmen müssen deshalb darauf abgeklopft werden, was sie bewirken. Nicht das, was sie nach Ansicht der Regierenden bewirken sollen, muß der Gradmesser sein, sondern das, was sie tatsächlich bewirken. Das Volk hinters Licht führen, mag durchaus temporäre propagandistische Erfolge bringen. Doch am Ende sind die Fakten ausschlaggebend, die sich aber wenig um die Regierungspropaganda scheren.

Ein Beispiel. Im Infoblatt "Ein neuer Anfang für Deutschland", das die CDU quasi als Kurzfassung des Koalitionsvertrags verbreitet hat, heißt es: "Wir geben Vorfahrt für Arbeit und senken die Lohnzusatzkosten um 2 Prozentpunkte. Das macht Arbeit in Deutschland günstiger und unsere Wirtschaft international konkurrenzfähiger. Neue Arbeitsplätze werden entstehen. Arbeitnehmer werden durch die Senkung der Lohnzusatzkosten um ca. 7,3 Mrd. Euro pro Jahr entlastet." [2]

Mag sein, daß ihr das die Bürger zunächst abkaufen. Doch schon allein die Höhe der Senkung der Lohnzusatzkosten ist falsch dargestellt. Zwar ist einerseits in der Tat beabsichtigt ist, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte zu senken, andererseits steigt jedoch gleichzeitig der Beitrag zur Rentenversicherung um 0,4 Prozentpunkte. Das hat nach Adam Riese lediglich eine Reduzierung um 1,6 Prozentpunkte zur Folge. Und angesichts der drastischen Mehrwertsteuererhöhung, die vor allem die Massenkaufkraft beeinträchtigt, sind am Volumen der propagierten Entlastung berechtigte Zweifel angebracht. Was nützt es, dem Bürger glauben zu machen, er werde entlastet, wenn er in Wirklichkeit per Saldo belastet wird? Die Kaufkraft richtet sich nicht nach den Verlautbarungen der Politiker, sondern ausschließlich nach dem, was die Menschen in der Geldbörse haben. Im Grunde eine Binsenweisheit.

Noch ein Problem kommt auf Angela Merkel zu: die Heuschrecken. Daß Firmen, denen es schlecht geht, keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen, mag aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar sein. Doch was ist mit den Firmen, die enorme Gewinne machen und dennoch ihre Produktion verlagern, weil sich eben woanders immer noch ein Quentchen günstiger produzieren läßt? Der Reifenhersteller Continental beispielsweise hat gerade angekündigt, die Produktion in Hannover-Stöcken zu beenden. Ende nächsten Jahres soll dort Schluß sein, 320 Stellen stehen zur Disposition. Die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) sieht aber nicht nur die Arbeitsplätze im Reifenwerk in Gefahr, sondern alle rund 3.700 Stellen des Standorts Hannover.

Conti macht ordentlich Gewinn: In den ersten drei Quartalen 2005 hat sich der Umsatz gegenüber den ersten drei Quartalen des Vorjahres von 9,21 Mrd. Euro auf 10,24 Mrd. erhöht (= ein Plus von 11,2 Prozent). Noch viel stärker wuchs der Gewinn, von 0,84 Mrd. Euro auf 1,14 Mrd. Euro (= ein Plus von 35,7 Prozent). Die Aktionäre könnten eigentlich sehr zufrieden sein, das Ergebnis pro Aktie stieg nämlich von 3,49 Euro auf 5,05 Euro - eine Erhöhung um beeindruckende 44,7 Prozent. [3]

Die Koalitionäre haben eine Reform des Unternehmersteuerrechts angekündigt, doch ist fraglich, was das bei Firmen wie Continental hilft. So weit die Steuern senken, damit derartiges in Zukunft verhindert wird, ist schlechterdings unmöglich. Den Unternehmen muß man wieder Verantwortung für das Gemeinwesen abfordern - notfalls per Gesetz, da Appelle erfahrungsgemäß äußerst selten fruchten. Firmen mit hohen Gewinnen sollten einem Kündigungsverbot unterliegen, fordert etwa die DGB-Gewerkschaft Verdi. Und die französischen Sozialisten haben das jüngst auf ihrem Parteitag beschlossen. Der Handlungsdruck, übrigens in sämtlichen Industriestaaten, ist zumindest vorhanden. Schwarz-Rot muß darauf eine Antwort finden. Leider liest man dazu im Koalitionsvertrag nichts, vermutlich weil derartige Staatsinterventionen noch verpönt sind. Aber der Handlungsdruck wird weiter wachsen.

Wenn Bundeskanzlerin Merkel sich wirklich ihrem propagierten Ziel, die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken, verpflichtet fühlt, wird sie wohl oder übel über den Rahmen des Koalitionsvertrags hinausgehen müssen. Wahrscheinlich braucht man eine Legislaturperiode, um die Wirksamkeit der gerade beschlossenen Maßnahmen einschätzen zu können. Doch wie wir wissen, kann das Lächeln, mit dem Angie gegenwärtig durch die Lande reist, schnell schwinden. Die Realität wird sie vermutlich früher einholen, als ihr lieb ist. Das Lächeln des Siegers hat ja auch bei Gerhard Schröder rasch ein Ende gefunden, nachdem seine mit Cohiba-Zigarren und Brioni-Mantel zur Schau gestellte Großmannsattitüde nicht mehr so recht zu den gemeldeten Arbeitslosenzahlen passen wollte. "Was immer du tust, handle klug und bedenke das Ende", lautet ein lateinisches Sprichwort. Angela Merkel wird es beherzigen müssen. Tut sie es nicht, wird sie wie ihr Vorgänger an der Realität scheitern und ihr Amt verlieren.

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[1] ARD vom 23.11.2005
[2] CDU
[3] Frankfurter Rundschau vom 23.11.2005