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29. November 2005, von Michael Schöfer
WASG-Bundesvorstand sucht neue Basis


Der Bundesvorstand der WASG (Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit) hat am Wochenende die rebellierenden Mitglieder zur Ordnung gerufen. Hintergrund: Auf einem als turbulent bezeichneten Landesparteitag in der Bundeshauptstadt, bei dem es auch zu Handgreiflichkeiten gekommen sein soll, hat die Basis ihren Landesvorstand in die Wüste geschickt und eine Urabstimmung über das eigenständige Antreten bei der nächsten Landtagswahl beschlossen. Rund 750 Berliner WASG-Mitglieder müssen nun entscheiden, ob ihre Partei gemeinsam mit der Linkspartei/PDS zu den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006 antritt oder gegen sie.

Ein eigenständiges Antreten in Berlin hätte freilich große bundespolitische Bedeutung. Die Fraktionsgemeinschaft von Linkspartei/PDS und WASG im Deutschen Bundestag wäre erheblich gefährdet, denn konkurrierende Parteien dürfen laut Paragraph 10 der Geschäftsordnung keine gemeinsame Fraktion bilden. Doch im Bundesland Berlin, wo die Linkspartei mit der SPD die Landesregierung stellt, sind sich Linke und WASG spinnefeind. Streit über die geplante Fusion von Linkspartei/PDS und WASG gibt es auch in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.

Ursprünglich wollte man in der WASG Willy Brandts Losung "Mehr Demokratie wagen" endlich mit Leben füllen. Der Bundesvorstand der jungen Partei reagiert indes auf das Ansinnen der Berliner Basis mit autoritärem Gehabe. Eine Reaktion, die man im Politikbetrieb zur Genüge kennt. Als ultima ratio wird erwogen, die rebellierenden Mitglieder aus der Partei ausschließen. "Mitglieder, denen unsere Partei nicht passt, sollten sich eine andere schnitzen", sagte Bundesvorstandsmitglied Thomas Händel. Und: "Wir werden keine Sabotageakte dulden." [1]

Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Partei hat gefälligst nach der Pfeife des Bundesvorstands zu tanzen, was die Mitglieder wollen, ist offenbar unerheblich. Und wer nicht spurt, fliegt eben kurzerhand raus. So einfach ist das. Der Bundesvorstand wird schon irgendwo eine hoffentlich gefügigere Basis auftreiben. Demokratische Willensbildungsprozesse gehen zwar von unten nach oben, doch in der WASG ticken die Uhren längst anders. Urabstimmungen werden dort "Sabotage" genannt - zumindest dann, wenn dabei nicht das gewünschte Ergebnis herauskommt. So gesehen passen Linkspartei und WASG, wie ich finde, wiederum gut zusammen. "Es wächst zusammen, was zusammengehört", sagte Willy Brandt einst in einem anderen Zusammenhang. Die WASG hat wenigstens diesen Spruch Brandts beherzigt, wenn es schon mit "mehr Demokratie wagen" nicht richtig klappen will.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 29.11.2005