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11. Dezember 2005, von Michael Schöfer
Kennzeichnend für die Misere
Repräsentativ für die Misere in Deutschland sind zwei
Meldungen der vergangenen Woche.
- Die "Chemiebranche wächst
kräftig", titelte die Frankfurter Rundschau am 08.12.2005.
Der Verband der Chemischen (VCI) Industrie erwartet für
das laufende Jahr ein Umsatzwachstum von sieben Prozent.
Und für das nächste Jahr rechnet man mit einer Steigerung
von 3,5 Prozent. Über die aktuellen Gewinne schweigt sich
der Branchenverband zwar aus, doch ist davon auszugehen,
daß sie genauso gewachsen sind. In den letzten Jahren
erwirtschaftete die Chemieindustrie bei der
Eigenkapitalrendite jedenfalls stets zweistellige
Zuwachsraten. Das dürfte sich angesichts des beachtlichen
Umsatzwachstums auch 2005 kaum geändert haben. [1]
Negativ,
und das ist bezeichnend für die gegenwärtige Situation in
Deutschland, hat sich allerdings die Zahl der Mitarbeiter
entwickelt. Trotz kräftigem Umsatzwachstums beschäftigt die
Chemieindustrie in diesem Jahr 4.500 Mitarbeiter weniger als
im Jahr zuvor. Das belegt aufs neue, daß die enormen
Exporterfolge keine positiven Auswirkungen auf die
Beschäftigtenzahlen haben. Hier muß die Politik ansetzen, und
nicht bei den Unternehmenssteuern. Denn die Unternehmen
steuerlich noch mehr zu entlasten, würde nichts bringen.
Zumindest die Kapitalgesellschaften brauchen keine weiteren
Steuergeschenke. Viel notwendiger wäre dagegen eine Entlastung
des Mittelstands (überwiegend Personengesellschaften), der
hierzulande nach wie vor das Gros der Arbeitsplätze
bereitstellt. Außerdem eine Entlastung der unteren und
mittleren Einkommen bei der Lohnsteuer und den Sozialabgaben.
- Beide Koalitionsparteien
hatten im Bundestagswahlkampf den Abbau von
Steuersubventionen auf ihre Fahnen geschrieben. Die CDU
präsentierte uns sogar einen Schattenfinanzminister (Paul
Kirchhof), der sämtliche steuermindernden
Ausnahmetatbestände abschaffen wollte. Und was passiert?
Einerseits werden zwar einige Steuervergünstigungen
beseitigt (z.B. Eigenheimzulage) respektive gekürzt (z.B.
Pendlerpauschale), andererseits führt man dreist neue
Ausnahmetatbestände ein. Die Bundesregierung will nämlich
ältere und weniger effiziente Gaskraftwerke von der
Energiesteuer befreien. "Bisher galt die Befreiung nur für
Anlagen, die mindestens einen Wirkungsgrad von 58 Prozent
erreichen. Nach Angaben des Verbandes der Deutschen
Elektrizitätswirtschaft liegt ein Großteil der
Gaskraftwerke unter diesem Wert." [2]
Nun war
die Sinnhaftigkeit des radikalen Abbaus von steuermindernden
Ausnahmetatbeständen von jeher umstritten, da Subventionen
zweifellos auch Gutes bewirken können. Ohne Steuersubventionen
gäbe es etwa in Europa keine erfolgreiche Flugzeugindustrie
(Airbus), und ohne Steuersubventionen wäre die Bundesrepublik
bei den Windkraftanlagen nicht Weltmarktführer. Steuern
steuern - eine ökonomische Binsenweisheit. Wenn man es klug
anpackt, erzielt man gleichzeitig einen ökonomischen und einen
ökologischen Vorteil, sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe.
Doch was sollen Steuergeschenke für ineffiziente
Gaskraftwerke? Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) muß diese
Subvention aus einem eh schon äußerst prekären Haushalt
herausschneiden. Und was erntet er dafür? Der Innovationsdruck
in Richtung effizienterer Nutzung von Primärenergie läßt nach.
Wenn ältere Gaskraftwerke steuerlich gefördert werden, haben
die Stromversorger keinen Anreiz, neue zu bauen. Einerseits
fordert Umweltminister Sigmar Gabriel auf der
Weltklimakonferenz zu Recht die Reduzierung der globalen
CO2-Emissionen, andererseits verfolgt die Bundesregierung zu
Hause kontraproduktive Politikansätze. "Umweltminister Sigmar
Gabriel will den Klimaschutz zum zentralen Projekt der
Bundesregierung machen. (...) Klimaschutz ist zu einer
Überlebenschance der Menschheit geworden. Was heute
unterlassen werde, räche sich in 30 bis 40 Jahren.
Umweltpolitik müsse in den nächsten Jahren mehr denn je
Innovations- und Technologiepolitik sein", ließ der Minister
verlauten. [3]
Wenn Reden und Handeln weiterhin so stark auseinanderklaffen,
werden wir weder auf der ökonomischen noch auf der
ökologischen Seite nachhaltige Besserung erfahren. Rhetorik
allein hilft nicht. Was wir brauchen, sind Taten.
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[1] Chemiewirtschaft in Zahlen, Ausgabe 2005, Seite 94,
PDF-Datei mit 375 kb
[2] Frankfurter Rundschau vom 10.12.2005
[3] Frankfurter Rundschau vom 02.12.2005
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