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29. Dezember 2005, von Michael Schöfer
Früherer Staatssekretär Chrobog entführt


In der Frankfurter Rundschau von heute wird darüber berichtet, wie sich Jürgen Chrobog vor kurzem über die Entführung von Susanne Osthoff geäußert hat: "Im Bayerischen Rundfunk wandte sich der 65-Jährige gegen das "Sozialversicherungsdenken" Deutscher im Ausland: Wer sich in Gefahr begebe, müsse das Risiko kennen." Nun wurde Chrobog im Jemen selbst entführt. Dies ist bekanntlich nicht der erste Entführungsfall in der Republik Jemen, Chrobog hätte also gewarnt sein müssen. Vor allem, da er früher selbst mit Entführungsfällen von Deutschen im Ausland befaßt war. Außerdem gab es seit längerem entsprechende Reisewarnungen:

"Das Auswärtige Amt rät, nicht dringend erforderliche Reisen in den Jemen bis auf weiteres zurückzustellen", meldete etwa die Süddeutsche Zeitung am 11.10.2001. "Entführungen und Geiselnahmen von ausländischen Touristen sowie bewaffneter Fahrzeugraub, insbesondere von Geländefahrzeugen, kommen weiterhin vor. (...) Entführungen wären grundsätzlich im ganzen Jemen möglich, auch in den Städten. Erfahrungsgemäß würden Entführungen jedoch immer wieder in den selben Regionen und durch die selben Stämme stattfinden. Das Auswärtige Amt warnt besonders vor Reisen in die nördlichen und nordöstlichen Landesteile, vor allem in der Provinz Al-Djauf sowie in die dünn besiedelten Gebiete östlich des Wadi Hadramaut bis zur omanischen Grenze. Die Lage in den Provinzen Marib, Shabwa und Sadah bleibt nach Angaben des Amtes unsicher."

Zwischenzeitlich hat sich die Situation dort, wie die aktuellen Entführungsfälle belegen (Die Welt meldete schon am 23.12.2005 die Entführung von zwei österreichischen Staatsbürgern), nicht geändert. Chrobog wurde zudem ausgerechnet in der zentraljemenitischen Provinz Shabwa entführt, die in der Reisewarnung des Auswärtigen Amts namentlich genannt ist. "Wer sich in Gefahr begebe, müsse das Risiko kennen", gilt dieser Satz jetzt auch für ihn selbst? Und würde er sich in seinem eigenen Fall ebenfalls über das "Sozialversicherungsdenken Deutscher im Ausland" mokieren? Gewiß, die Bundesregierung wird alles tun, um Chrobog unversehrt freizubekommen. Genauso wie sie das im Entführungsfall Susanne Osthoff erfolgreich getan hat.

Doch sollte man penibel darauf achten, daß hier nicht mit zweierlei Maßstäben gemessen wird. Politiker fordern jetzt sogar, Susanne Osthoff die Rückkehr in den Irak zu verbieten. Dabei war das Zweistromland in den letzten Jahren ihr Lebensmittelpunkt. Ich an ihrer Stelle würde zwar nicht in den Irak zurückkehren. Doch ob Susanne Osthoff zurückkehrt, hat allein sie zu entscheiden, schließlich ist sie ein freier Mensch. Sie wird sich des Risikos hoffentlich bewußt sein. Welches Demokratieverständnis haben eigentlich Politiker, die ihr vorschreiben wollen, wo sie leben darf und wo nicht? Ob sie eine schwierige Persönlichkeit ist, wie die Presse abwertend schreibt, ist darüber hinaus völlig unerheblich. Nach der Freilassung von Jürgen Chrobog wird es wohl kaum eine ähnliche Debatte geben. Und vermutlich wird niemand auf die Idee kommen, ihm künftig Reisen in Risikoländer zu untersagen. Wenn zwei das gleiche tun, ist es offenbar noch lange nicht dasselbe. Das registrieren wir ja nicht zum ersten Mal.