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19. Januar 2006, von Michael Schöfer
Nazi-Gegner werden von Justiz verfolgt


Manchmal könnte man sich an den Kopf greifen und am Rechtsstaat verzweifeln. Wie die Frankfurter Rundschau heute berichtete, erhielt ein Tübinger Student einen Strafbefehl über 200 Euro, weil er einen Anti-Nazi-Button trug, auf dem ein durchgestrichenes Hakenkreuz abgebildet war.

Der Paragraph 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) stellt zwar in der Tat die Verwendung des Hakenkreuzes unter Strafe, aber "nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient". So sagt es zumindest der Gesetzestext (Abs. 3). Und es steht ja wohl außer Frage, daß das Tragen eines Anti-Nazi-Buttons "der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen" dient.

Die Bundestagsabgeordneten Niels Annen und Sebastian Edathy (beide SPD) betonen: "Nach ständiger Rechtsprechung sind nach § 86a StGB solche Handlungen straflos, die nicht darauf abzielen, eine Identifikation mit den Zielen der verbotenen Organisation zum Ausdruck zu bringen." [1] Die "Identifikation mit den Zielen der verbotenen Organisation" (in diesem Fall der NSDAP) kann einem erklärten Nazi-Gegner, der seine Haltung mit einem Button zum Ausdruck bringt, auf dem ein durchgestrichenes Hakenkreuz zu sehen ist, wohl kaum unterstellt werden.

Wenn Rechtsradikale einen Ausländer brutal zusammenschlagen oder Brandanschläge auf Synagogen begehen, fordern Politiker gerne zum "Aufstand der Anständigen" (Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder) auf. Die Bürger sollen gefälligst Zivilcourage zeigen und sich dem braunen Mob entgegenstellen, heißt es dann. Anderntags bemühen sich jedoch Staatsanwälte darum, den verlangten "Aufstand der Anständigen" und das Zeigen von Zivilcourage mit einer in meinen Augen geradezu hanebüchenen Rechtsauslegung zu hintertreiben.

Das kann man nur noch mit Fassungslosigkeit zur Kenntnis nehmen. Anstatt mit grotesken Aktivitäten Nazi-Gegner zu verfolgen, sollte sich die Justiz besser den eigentlichen Demokratie-Feinden widmen. Um die Situation juristisch ein für allemal zu klären und übers Ziel hinausschießende Staatsanwälte auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, ist offensichtlich die Präzisierung des Gesetzestextes notwendig. Nazi-Gegner sollten sich nicht vor der Staatsanwaltschaft fürchten müssen. Hier ist die Politik gefragt, denn wer den "Aufstand der Anständigen" einfordert, muß ihn auch im Parlament unterstützen. Alles andere wäre in hohem Maße unanständig.

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[1] news-on-web vom 11.01.2006


Nachtrag (15.03.2007):

"Durchgestrichene oder anderweitig verfremdete Hakenkreuze dürfen gezeigt werden, wenn die Distanzierung zum Nationalsozialismus "offenkundig und eindeutig" ist. Das entschied (...) der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Aktenzeichen: Bundesgerichtshof 3 StR 486/06" [2]

[2] FAZ vom 15.03.2007