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28. Januar 2006, von Michael Schöfer
Hamas siegt in Palästina


Der Sieg der radikal-islamischen Organisation "Hamas" (Harakat al-muqawama al-islamiyya - islamische Widerstandsbewegung) hinterläßt beim Beobachter ein zwiespältiges Gefühl. Einerseits sind die Wahlen und der friedliche Machtwechsel in Palästina für die gesamte Region ohne Beispiel. In den meisten arabischen Staaten sind Wahlen, so sie denn überhaupt stattfinden, eine Farce, die meist nur die Macht der herrschenden Autokraten legitimieren sollen. Wahlen, die darüber hinaus auch noch zu einem unblutigen Machtwechsel führen, sind in der Region jedenfalls ein Novum.

Zum ersten Mal wählte die Bevölkerung in einem arabischen Land die bisherige Regierung ab und bringt dadurch die Opposition an die Macht. Machtwechsel gab es dort nämlich bislang nur innerhalb rivalisierender Machtcliquen oder durch einen Putsch bzw. eine Revolution. Insofern muß man den Wahlprozeß ungeachtet des Ausgangs begrüßen und hoffen, er möge Nachahmer finden. Schließlich ging es dabei um den Willen des palästinensischen Volkes, nicht um den des Westens.

Andererseits verursacht der Sieg von Hamas natürlich erhebliche Bauchschmerzen, weil mit dem Sieg der Islamisten der fragile Friedensprozeß in Nahost endgültig zu Ende sein könnte. Die Wahlen belegen zudem: In den arabischen Staaten gibt es nach wie vor keine relevanten demokratischen Strömungen, wie sie bei uns selbstverständlich sind. Entweder korrupte Autokratenregime oder radikale religiöse Gruppierungen - das scheint gegenwärtig die einzige Alternative zu sein. Aus unserer Sicht eine Wahl zwischen Pest und Cholera.

Säkulare Demokraten in westlichem Sinne kann man dort mit der Lupe suchen und findet sie höchstens in vergleichsweise bedeutungslosen Intellektuellenkreisen. Demokratie erschöpft sich nicht in der Abhaltung von Wahlen, sie braucht vielmehr eine kulturelle Basis, die u.a. die Beachtung der Menschenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung sowie die Akzeptanz von Pluralismus beinhaltet. Demokratie ist mithin ein komplexer kultureller Prozeß. Doch genau hier haben die arabischen Staaten aufgrund der fehlenden Aufklärungsphase enorme Defizite.

Das Ziel von Hamas ist die Vernichtung Israels und die "Befreiung" ganz Palästinas - einschließlich des international anerkannten israelischen Staatsgebiets. Als Mittel, dies durchzusetzen, hält Hamas Gewaltanwendung für legitim. Die Organisation lehnt die Zweistaatenlösung und einen säkularen Palästinenserstaat grundlegend ab. Von daher ist es schwer vorstellbar, daß eine von Hamas geführte Palästinenserverwaltung mit Israel über die Fortsetzung des Friedensprozesses verhandelt.

Doch Hamas wird künftig mit der Last des Regierens konfrontiert sein. Eine Regierung zu führen, ist wesentlich schwerer, als eine Regierung aus der Opposition heraus zu kritisieren. Die Islamisten müssen ihre Regierungsfähigkeit erst noch unter Beweis stellen. Außerdem hat die bislang herrschende "Fatah", die größte Fraktion innerhalb der PLO (Palestine Liberation Organization), früher genauso unnachgiebig die Vernichtung Israels propagiert. Die PLO hat dieses Ziel mittlerweile aufgegeben. Ist bei Hamas ein entsprechender Wandel völlig undenkbar? Ich hoffe, nicht.

Man kann sich seine Feinde nicht aussuchen. Israel wird sich deshalb notgedrungen an eine regierende Hamas gewöhnen müssen. Alles andere würde zum totalen Stopp des Friedensprozesses führen, der letztlich auch im Interesse Israels liegt. Unter Umständen kann der Wahlausgang in den Palästinensergebieten nach einer gewissen Schamfrist neu belebt werden. Denn sollte Hamas der Gewalt abschwören und sich - man muß allerdings sagen, bislang wider Erwarten - kompromißbereit zeigen, könnte das durchaus positive Auswirkungen haben. Der Sieg von Hamas kann natürlich auch bloß der Auftakt zur beiderseitigen Radikalisierung gewesen sein. Wenn künftig hüben und drüben (in Israel wird ja demnächst ebenfalls gewählt) Radikale den Ton angeben, sieht die Zukunft sicherlich düster aus. Warten wir es ab.