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10. Februar 2006, von Michael Schöfer
Zumindest von mir wird "Yahoo" künftig boykottiert


Wir schreiben den 18. Februar 1943. Deutschland überzog seine europäischen Nachbarstaaten schon dreieinhalb Jahre lang mit einem grausamen Eroberungskrieg, im Inland wurden Nazigegner seit der Machtergreifung im Januar 1933 mit immer brutaleren Mitteln unterdrückt. Und am 20. Januar 1942 beschlossen hochrangige Regierungsvertreter auf der sogenannten Wannseekonferenz die "Endlösung der Judenfrage". Widerstand schien völlig aussichtslos, trotzdem gab es Menschen, die sich dem Wahnsinn mutig entgegenstellten.

In München bildeten die Studenten Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf, Hans und Sophie Scholl sowie der Universitätsprofessor Kurt Huber die Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Hervorragende Computerkenntnisse ermöglichten es ihnen, übers Internet massenhaft regierungskritische E-mails an ihre gebannt vor den Volkscomputern sitzenden Landsleute zu versenden. Die "Weiße Rose" rief dazu auf, das NS-Regime zu stürzen und "ein neues geistiges Europa" zu errichten. "Leistet passiven Widerstand, wo immer Ihr auch seid!", hieß es in ihrer ersten Massenmail. "Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose läßt Euch keine Ruhe!", so der Schlußsatz ihres vierten Aufrufs. [1] Vorsichtshalber plazierten sie ihre Webseite auf einem amerikanischen Server, wo sie dem Zugriff der braunen Machthaber entzogen schien.

Ja, schien, muß man leider sagen. Hinterher ist man immer schlauer. Denn in den USA, dem Land der Freien, verfolgte die Internet-Firma "Yahoo" eigene Interessen. Ihr war der Widerstand der "Weißen Rose" gleichgültig. Zwar beteuerte "Yahoo", mit den Methoden der deutschen Regierung keinesfalls einverstanden zu sein, doch das Nazireich war eben ein viel zu lukrativer Markt, um ihn auf Dauer ignorieren zu können. Schließlich lockten enorme Gewinne. Und weil die Geheime Staatspolizei (Gestapo) endlich die Münchner Widerstandsgruppe zerschlagen wollte, wandte sie sich in ihrer Not - die braunen Dumpfbacken hatten nur miserable Computerkenntnisse - an "Yahoo".

Der Internet-Dienstleister hat also an dem besagten 18. Februar 1943 E-mails und andere elektronische Informationen an die deutsche Staatssicherheit weitergeleitet, die der Gestapo bei der Zerschlagung und Verurteilung der "Weißen Rose" entscheidend geholfen haben. "Vier Tage später, am 22. Februar, wurde Sophie Scholl in München vom so genannten Volksgerichtshof unter Vorsitz des aus Berlin angereisten berüchtigten Richters Roland Freisler verurteilt und am Nachmittag des selben Tages im Strafgefängnis München-Stadelheim unter Aufsicht des damaligen Leiters der Vollstreckungsabteilung des Münchner Landgerichts Dr. Walter Roemer gemeinsam mit Hans Scholl und Christoph Probst mit dem Fallbeil hingerichtet." [2]

Zurück ins 21. Jahrhundert: "Der Internetriese Yahoo soll erneut den chinesischen Zensurbehörden bei der Verurteilung eines Dissidenten geholfen haben. Das berichtete am Donnerstag die Journalistenorganisation 'Reporter ohne Grenzen' (RSF). Den Vorwürfen zufolge soll Yahoo im Jahr 2003 private Emails und andere elektronische Informationen an die chinesische Staatssicherheit weitergeleitet haben, die zur Verurteilung des Dissidenten Li Zhi geführt haben. Li, ein ehemaliger Regierungsbeamter in der Provinz Sichuan, hatte auf Internetseiten Korruptionsfälle in der Kommunistischen Partei aufgedeckt und wurde im Dezember 2003 wegen 'Untergrabung der Staatsmacht' zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. In den Gerichtsunterlagen von damals, die nun der Bürgerrechtler Liu Xiaobo im Internet veröffentlichte, heißt es: 'Am 1. August 2003 stellte Yahoo Hongkong Ltd der Sicherheitsbehörde die User-Informationen und andere relevante Informationen des Benutzers Lizhi340100 zur Verfügung.' Ähnliche Daten hatte Yahoo im vergangenen Jahr auch über den Journalisten Shi Tao weitergegeben, der zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde." [3]

Nazi-Vergleiche sind immer problematisch. Natürlich wäre, wenn es im Dritten Reich schon das Internet und "Yahoo" gegeben hätte, die Sache ganz anders ausgegangen. "Yahoo" hätte selbstverständlich KEINE Daten an die Gestapo übermittelt. Wie komme ich nur darauf? Und gewiß hätte damals auch "Google" die Website der "Weißen Rose" nicht aus der eigenen Datenbank getilgt, damit den Deutschen wenigstens im Internet regierungskritische Informationen zugänglich gewesen wären. "Feindsender" hören, etwa die alt-ehrwürdige BBC, war seinerzeit bekanntlich verboten.

Aber bei den Dissidenten Li Zhi und Shi Tao handelt es sich ja "bloß" um Chinesen. Mit der Volksrepublik befindet man sich obendrein nicht im Kriegszustand, deshalb darf man das auf keinen Fall vergleichen. Immerhin sind Li Zhi und Shi Tao mit acht bzw. zehn Jahren Gefängnis sogar noch relativ gut weggekommen. Einer Hinrichtung, wie der von Sophie Scholl, hätte "Yahoo" niemals zugearbeitet. Davon bin ich felsenfest überzeugt. (Achtung: Ironie)

Ich denke, das Verhalten von "Yahoo" ist eine Riesensauerei. Und genau aus diesem Grund werde ich künftig "Yahoo" boykottieren. Zugriffe von mir werden dort fortan ausbleiben. Weniger Zugriffe bedeuten weniger Werbekunden und demzufolge geringere Umsätze. Wenigstens das bin ich Li Zhi und Shi Tao schuldig. Doch nicht nur ihnen, sondern auch meinem Gewissen.

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[1] Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier Sophie Scholl und die "Weiße Rose"
[2] Wikipedia, Sophie Scholl
[3] Frankfurter Rundschau vom 10.02.2006