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02. März 2006, von Michael Schöfer
Der Lack ist ab


Linkspartei.PDS und Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) wollen bekanntlich fusionieren - zumindest die Funktionäre verfolgen dieses Ziel mit großem Nachdruck. Doch nun hat der WASG-Landesverband Berlin auf einem Parteitag beschlossen, bei den Abgeordnetenhauswahlen am 17. September 2006 mit einer eigenständigen Liste und damit in Konkurrenz zur Linkspartei.PDS anzutreten. Ups! Das paßt den Großkopfeten natürlich überhaupt nicht in den Kram, denn § 10 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags besagt: "Die Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen. Schließen sich Mitglieder des Bundestages abweichend von Satz 1 zusammen, bedarf die Anerkennung als Fraktion der Zustimmung des Bundestages." Wenn also am 17. September Linkspartei.PDS und WASG tatsächlich gegeneinander antreten sollten, steht möglicherweise die gemeinsame Bundestagsfraktion und unter Umständen sogar die Fusion selbst auf dem Spiel.

Davon kann keine Rede sein, behaupten die Fusionsbefürworter. "Von den zwölf WASG-Mitgliedern in der 53-köpfigen Fraktion besitzen sechs zusätzlich das Parteibuch der Linkspartei, darunter Fraktionschef Oskar Lafontaine. Von den restlichen sechs unterstützt niemand die WASG-Alleingänge in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Bislang ziehen alle Linken zumindest im Bundestag an einem Strang. Im Fall einer Klage oder eines Prüfungsverfahrens könnten zur Not auch die verbliebenen sechs WASG-Abgeordneten die Doppelmitgliedschaft beantragen", zitiert sie die Frankfurter Rundschau. [1] "Uns ist in keiner Weise bange in Bezug auf die Fraktion", versichert Fraktionssprecher Hendrik Thalheim.

Nur dumm, daß die Satzung der WASG Doppelmitgliedschaften ausschließt. § 3 der Satzung, beschlossen auf dem Parteitag in Bochum (6. - 8. Mai 2005), sagt nämlich unmißverständlich: "Doppelmitgliedschaft in der WASG und anderen politischen Parteien ist mit Ausnahme rechtsradikaler Parteien für eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2005 möglich." [2] In der WASG waren Doppelmitgliedschaften also nur bis Ende 2005 erlaubt. Mit anderen Worten: Die Doppelmitgliedschaft der sechs Fraktionsmitglieder ist eindeutig satzungswidrig. Ausgerechnet eine satzungswidrige Doppelmitgliedschaft als Mittel zur Rettung der gemeinsamen Fraktion heranzuziehen, ist reichlich unverfroren. Chuzpe, nennt man das wohl. Aber von der WASG ist man Schummeln mittlerweile gewohnt. So wollte man dort früher die Linkspartei.PDS nicht einmal mit spitzen Fingern anfassen. Doch in der Manier Konrad Adenauers ("Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern") hat die WASG rechtzeitig vor der Bundestagswahl die Kurve gekriegt. [3] Heute wird pathetisch von einer vermeintlich "historischen Chance" gesprochen. Erst kommt das Fressen, sprich: die Abgeordnetenmandate, dann die Moral.

Den Aufstand der Berliner Basis kontern die Funktionäre mit Trennungsabsichten. Man müsse sich eben, falls die Mehrheit der Mitglieder des Berliner Landesverbands in einer Urabstimmung das eigenständige Antreten bei der Abgeordnetenhauswahl billigt, von ihr trennen, erklärt der parlamentarische Geschäftsführer der linken Bundestagsfraktion Uli Maurer. [4] Wehe Dir, Basis, wenn Du nicht spurst! Unverblümt wird mit der von oben organisierten Spaltung des Berliner Landesverbands gedroht. Nach Abspaltung der vorstandstreuen Minderheit könne man diese kurzerhand als rechtmäßigen Landesverband anerkennen, die Mehrheit der Kritiker bliebe draußen. So einfach ist das. Besser hätte man autoritären Führungsstil und fragwürdiges Demokratieverständnis wohl kaum demonstrieren können. Typisch kommunistische Taktik, fällt mir dazu bloß ein.

Bodo Ramelow (Bundesvorstandsmitglied der Linkspartei.PDS) hat kürzlich freimütig zugegeben, daß in seiner Partei "die Dogmatiker" wieder an Einfluß gewinnen und eine offene Diskussion verhindern. "Viele in der Partei täten heute wieder so, als sei die DDR ein Hort der Menschenrechte gewesen", kritisierte Ramelow. [5] "Als Beispiel für den Rückfall in Dogmatismus nannte er den Streit darüber, wie offen Linke Menschenrechtsverletzungen in Kuba kritisieren dürfen." [6]

Damit bestätigt Ramelow genau die Kritik, die Gegner der Parteifusion schon von jeher geäußert haben: In der Linkspartei.PDS säßen noch viel zu viele, die früher Staats- und Parteichef Erich Honecker und seinem Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, zugejubelt haben. Mit einem Wort: SED-Nachfolgepartei. Und die wenigen westdeutschen Mitglieder seien überwiegend linke Sektierer mit K-Gruppen-Vergangenheit. Einst war das in der WASG Konsens. Nicht zuletzt deshalb wollte man ja ausdrücklich eine demokratische Linke mit Standort zwischen Rot-Grün und PDS etablieren. Es war einmal...

Einer Partei, die gegenüber schriftlich fixierten Richtlinien und politischen Grundsätzen eine derart laxe Haltung an den Tag legt, ist nicht zu trauen. Heute sind es nur die eigenen Mitglieder, die man mit fragwürdigen Methoden übers Ohr haut. Morgen probiert man es wahrscheinlich mit den anderen Fraktionen des Bundestages, übermorgen vielleicht mit den Bürgerinnen und Bürgern. US-Präsident George W. Bush wird von der Linkspartei/WASG zu Recht kritisiert, er breche das Gesetz. Und was macht man selbst? Wer im kleinen Recht mißachtet, tut es auch im großen. Legal, illegal, scheißegal - Linkspartei.PDS und WASG scheinen diesem Sponti-Spruch mit Enthusiasmus nachzueifern. Ich kann daher vor der Wahl dieser Parteien nur warnen, denn der demokratische Lack ist jetzt endgültig ab.

Zur Diskussion in der Linkspartei.PDS über Kuba siehe
a) Beschluß des PDS-Parteivorstandes vom 27.02.2006
b) Stellungnahme von André Brie in der Links-Zeitung vom 16.02.2006

Auszug aus dem Jahresbericht 2004 von ai:
"Im Berichtszeitraum war eine gravierende Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Kuba zu verzeichnen. Mitte März schritten die dortigen Behörden in beispielloser Weise gegen die Dissidentenbewegung ein. 75 langjährige Aktivisten wurden festgenommen und nach unfairen Gerichtsverfahren zu Freiheitsstrafen von bis zu 28 Jahren verurteilt." Darunter Schriftsteller und Journalisten. Es geht mithin um "Meinungsverbrechen". Und es ist bezeichnend für die Linkspartei.PDS, daß sie dies mit Menschenrechtsverletzungen andernorts relativiert. Wer Menschenrechte nur dort verteidigt, wo es ihm in den politischen Kram paßt, hat seine Glaubwürdigkeit verspielt.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 01.03.2005
[2] WASG, PDF-Datei mit 88 kb
[3] siehe hierzu Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern vom 26.05.2005 oder Das trojanische Pferd der PDS vom 07.06.2005
[4] Frankfurter Rundschau vom 28.02.2006
[5] Links-Zeitung vom 25.02.2006
[6] FAZ.Net vom 27.02.2006