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10. April 2006, von Michael Schöfer
Hasardeure im Weißen Haus

Nach einem Bericht der amerikanischen Zeitschrift "The New Yorker" plant US-Präsident George W. Bush einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen, bei dem auch Nuklearwaffen zum Einsatz kommen sollen. Dem Enthüllungsjournalist Seymour Hersh zufolge will Bush mit dem Angriff einen Volksaufstand gegen die iranischen Mullahs provozieren, der zu einem Regimewechsel führt. [1]

George W. Bush hat offenbar aus seinem Debakel im Irak nichts gelernt. Nach wie vor versucht er, im Nahen Osten mit höchst fragwürdigen Methoden demokratische Verhältnisse zu etablieren. Daß sein rüdes Vorgehen, von vielen im Westen zu Recht als menschen- und völkerrechtswidrig gebrandmarkt, dazu wenig geeignet ist, scheint ihm gar nicht in den Sinn zu kommen. Nicht umsonst hat man heutzutage als Synonym für die USA weniger die Statue of Liberty im Sinn, sondern eher Guantanamo und Abu Ghraib. Haben wir es im Weißen Haus mit gefährlichen Hasardeuren zu tun, die ihren missionarischen, von religiösem Wahn geprägten Eifer ohne Rücksicht auf Verluste ausleben? Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen.

Natürlich ist die Gefahr, daß sich der Iran Atomwaffen verschafft, ernst zu nehmen. Doch ob man mit der Bombardierung der iranischen Atomanlagen eine Wende zum Positiven erreicht, ist mehr als fraglich. Nicht alles, was militärisch möglich ist, ist zugleich politisch hilfreich. Das iranische Regime könnte nämlich durch einen Angriff nicht nur gestärkt werden, die Militäraktion würde darüber hinaus vermutlich die gesamte Region destabilisieren. Das Pulverfaß Naher Osten geht dann vielleicht endgültig in die Luft.

Krieg ist die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln (Clausewitz), doch bei Bush ist schon das zugrundeliegende politische Konzept denkbar ungeeignet. Bushs Kriege sollen lediglich das reparieren, was ihm die falsche Analyse eingebrockt hat. Das kann nicht hinhauen, im Treibsand strampeln ist bekanntlich kontraproduktiv. Sollten die USA überdies Nuklearwaffen anwenden, zum ersten Mal seit den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki, würden sie obendrein den Rubikon überschreiten. In der Folge wäre irrationalem, von blindem Haß geprägtem Handeln Tür und Tor geöffnet, der "Clash of Civilizations" mithin eine selffulfilling prophecy geworden - inklusive allen verheerenden Konsequenzen.

Wer fällt dieser durchgeknallten "letzten" Supermacht in den Arm? Wer bringt den mächtigsten und zugleich naivsten Mann der Welt zur Vernunft? Wer befreit ihn von seiner infantilen Hybris? Militärisch ist den USA keiner gewachsen. Allenfalls lassen sich die Vereinigten Staaten durch wirtschaftliche Verwerfungen zur Raison bringen. Ein erneuter Krieg in der ölreichen Region könnte die gesamte Weltwirtschaft mit in den Strudel reißen. Ökonomisch betrachtet sind die Grenzen des amerikanischen Imperiums sowieso schon seit langem überdehnt, die Resistenz gegen wirtschaftliche Zusammenbrüche folglich gering.

Die westlichen Verbündeten sollten deshalb dem US-Präsidenten klar machen, daß sie für ein militärisches und politisches Abenteuer nicht zur Verfügung stehen. Die westliche Strategie darf sich nicht darin erschöpfen, die Büchse der Pandora zu öffnen. Und sie müssen ihren - wenngleich geringen - Einfluß in Washington geltend machen, um das Schlimmste zu verhindern. Die Bush-Administration repräsentiert zum Glück nicht das ganze Amerika. Steht der selbsternannte Weltpolizist allein auf weiter Flur, findet er keine "Koalition der Willigen" und erntet selbst im eigenen Land geharnischten Widerspruch, zuckt er hoffentlich im letzten Moment zurück.

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[1] tagesschau.de vom 10.04.2006