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20. April 2006, von Michael Schöfer
Ölpreis noch zu niedrig


Gestern knackte der Ölpreis in New York die Rekordmarke von 72,17 Dollar für ein Barrel (159 Liter), heute kostete in London die marktführende Nordseesorte Brent zeitweise 74,22 Dollar. [1] Als Ursache für den extremen Anstieg, immerhin hat sich der Preis für den Energierohstoff damit seit 2003 mehr als verdreifacht (vgl. Chart), wird die sich zuspitzende Krise um das iranische Atomprogramm genannt. Aber auch der stark wachsende Verbrauch in Asien spielt eine große Rolle. So hat beispielsweise die Volksrepublik China ihren Ölverbrauch zwischen 1990 und 2004 von 116 Mio. t auf 308 Mio. t erhöht, das ist ein Plus von 165 Prozent. [2] Tendenz: stark steigend: 2005 + 2,4 Prozent / Prognose für 2006 + 6 Prozent. [3]



"Mit 23 Millionen Barrel Ölverbrauch pro Tag liegt Asien derzeit nur noch knapp hinter den USA mit 25 Millionen und weit vor der EU mit 15 Millionen Barrel. (...) Der Pro-Kopf-Energieverbrauch in den USA liegt allerdings noch 13 Mal höher; sollte China dieses Niveau erreichen, würde es täglich mehr als die aktuelle Tagesproduktion der gesamten Welt verbrauchen (90 Millionen Barrel Öl)." [4]

Im allgemeinen wird ein hoher Ölpreis als Gift für die Volkswirtschaften der Industriestaaten bezeichnet. Ohne Zweifel wirken sich hohe und stark steigende Energiepreise negativ auf die Kaufkraft der Konsumenten aus. Wer mehr für Öl und Gas ausgeben muß, spart gezwungenermaßen an anderer Stelle. Folglich leidet die Konjunktur. In den neunziger Jahren mußte man selten mehr als 20 Dollar pro Barrel zahlen, viele wünschen sich deshalb die Zeit des billigen Öls zurück. Doch das ist unrealistisch, so günstig wie damals wird Öl nie wieder sein. Erstens steigt die globale Nachfrage weiterhin an. In Asien wird der Wirtschaftsboom in absehbarer Zeit wohl kaum abflauen, obgleich die gegenwärtigen Wachstumsraten (China 2005 + 9,9 Prozent) vermutlich nicht dauerhaft aufrechtzuerhalten sind. Zweitens scheint das Ölfördermaximum (Peak-Oil), also der Zeitpunkt, an dem die Ölfördermenge ihren Scheitelpunkt erreicht und demzufolge "nicht mehr als quasi unerschöpflicher, billiger Rohstoff und Energieträger zur Verfügung" steht, recht nah oder bereits erreicht zu sein. [5]

Der wichtigste Grund, warum man sich sogar einen noch höheren Ölpreis wünschen sollte, ist durchaus ein ökonomischer - selbst wenn diese Aussage auf den ersten Blick paradox erscheint. Öl ist nämlich nach wie vor zu billig. Wäre das Urteil falsch, würden wir heute zum Beispiel völlig andere Autos fahren, und zwar wesentlich spritsparendere. Doch der Flottenverbrauch der Automobile in Deutschland betrug im Jahr 2003 7,35 Liter auf 100 km. [6] Viel zu viel. Das Drei-Liter-Auto ist technisch möglich, wird indes weder in großen Stückzahlen produziert noch von den Käufern in ausreichendem Maße angenommen. Die Menschen kaufen sich eben lieber einen BMW, als auf weniger sportliche, aber dafür bedeutend vernünftigere Fahrzeuge umzusteigen. Das traurige Schicksal des VW-Lupo ist sattsam bekannt. Anhaltend hohe Ölpreise könnten das endlich ändern.

Erst wenn Öl wirklich teuer ist, rentieren sich Investitionen in erneuerbare Energien und alternative Antriebe. Da die Ölreserven unweigerlich zur Neige gehen, die statistische Reichweite betrug im Jahr 2005 bloß noch 40,5 Jahre [7], müssen wir uns ohnehin auf das baldige Ende der Ölzeit gefaßt machen. Umsteuern braucht Zeit. Je schneller wir damit beginnen, desto eher können wir die vorhersehbare Kluft zwischen tendenziell zurückgehenden Fördermengen auf der einen Seite und wachsendem Verbrauch auf der anderen Seite kompensieren. Umsteuern müssen wir sowieso, das ist unausweichlich. Doch am besten machen wir das heute freiwillig, als morgen unter vielleicht viel ungünstigeren Umständen dazu gezwungen zu werden.

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[1] OÖ-Nachrichten vom 20.04.2006
[2] Esso, Oeldorado 2005, Seite 5, PDF-Datei mit 1,2 MB
[3] International Energy Agency, Oil Market Report vom 14.03.2006, PDF-Datei mit 100 kb
[4] Der Standard vom 14.04.2006
[5] siehe hierzu Wikipedia, Peak-Oil
[6] Wikipedia, Automobil
[7] Energie im Blickpunkt, BP Weltenergiestatistik vom Juni 2005, PDF-Datei mit 4,3 MB