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29. April 2006, von Michael Schöfer
Schweizer Schwarzgeldtresore


Als ich einst mit Freunden Urlaub im Tessin machte, äußerte ich spontan, daß ich gerne ein Verzeichnis hätte, in dem sämtliche Bankkonten der Schweiz eingetragen sind. Inklusive der Namen aller Kontoinhaber und des Kontostands, versteht sich. Ich würde dann vermutlich nicht mehr lange leben, bekam ich prompt zur Antwort. Mag sein, aber interessant wäre so ein Verzeichnis schon. Hochinteressant sogar.

Gemeinhin sind die Schweizer, was ihre Banken angeht, extrem verschwiegen. Das Bankgeheimnis ist ihnen heilig. Entsprechend dürftig sind die Informationen, die an die Öffentlichkeit gelangen. Gleichwohl lassen auch allgemein gehaltene Angaben Rückschlüsse zu, welches Geld in den Schweizer Banktresoren schlummert.

Die Affäre um die nachrichtenlosen Konten von Opfern der Nazi-Diktatur, die die Schweizer Bankenwelt Mitte der neunziger Jahre erschütterte, ist dagegen eher unter der Rubrik "Peanuts" einzuordnen. Schätzungen über den Wert der im Volcker-Bericht genannten knapp 54.000 Konten belaufen sich auf bis zu 1,9 Mrd. US-Dollar. [1]

Die Gesamtsumme der in der Schweiz angelegten Gelder soll dagegen nach einem Artikel der Frankfurter Rundschau rund zwei Billionen Euro betragen. [2] Angeblich sind dort "ein Drittel der weltweit im Ausland angelegten Vermögen" deponiert. Und Schätzungen der Deutschen Bank zufolge mindestens 70 Prozent davon unversteuert. Mit anderen Worten: Schwarzgeld. Doch es sind beileibe nicht bloß die Steuerhinterzieher aus aller Welt, die das Schweizer Bankgeheimnis zu schätzen wissen, sondern vermutlich obendrein viele Despoten, die ihr Blutgeld aus guten Gründen bei den Schweizer Banken aufbewahren. Naturgemäß gibt es darüber keine genauen Auskünfte. Leider.

Moralische Bedenken scheint man in der Schweiz kaum zu kennen. Denn vor allem in der "sauberen" Schweiz gilt das Verdikt Bertold Brechts: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral." Das will heißen: "Es ist uns scheißegal, woher und von wem das Geld stammt, das unseren Profit garantiert." Schweizer Kritiker, etwa Jean Ziegler ("Die Schweiz wäscht weißer"), gelten in ihrem Heimatland als Nestbeschmutzer.

Wahrscheinlich gibt es gar kein Verzeichnis sämtlicher Bankkonten der Schweiz. Aber selbst wenn es eins gäbe, würde sein Inhalt wohl nie bekannt werden. Schade, denn was könnte man damit nicht alles anfangen, zum Beispiel die Welt der Reichen und der Blutsauger gehörig durcheinanderwirbeln. Selbstverständlich nur unter Inkaufnahme des eingangs erwähnten Risikos für Leib und Leben, das in der Tat nicht unterschätzt werden sollte. Salman Rushdie hat die Fatwa Khomeinis überlebt. Doch wenn dich fast alle Bluthunde dieser Welt hetzen, ist die Gefahr, daß sie dich am Ende erwischen, ungleich größer. Dennoch, die Versuchung wäre riesengroß.

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[1] Tagesspiegel vom 07.12.1999
[2] Frankfurter Rundschau vom 29.04.2006