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| Impressum 24. Mai 2006, von Michael Schöfer Positive Rückkopplung Was Klimaforscher seit langem befürchtet hatten, scheint jetzt einzutreten: In Sibirien taut der Dauerfrostboden (Permafrost) auf und setzt Milliarden Tonnen der Treibhausgase Methan und Kohlendioxid frei. "Jeden Tag tauen im Durchschnitt 330 Quadratkilometer Tundra auf. Diese dramatische Entwicklung kann den weltweiten Treibhauseffekt und die globale Erwärmung erheblich beschleunigen", sagt Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. In Sibirien ist die Durchschnittstemperatur in den letzten vierzig Jahren bereits um drei Grad angestiegen. Globaler Rekord. [1] Nach einer Studie sollen allein im Dauerfrostboden Westsibiriens mindestens 70 Mrd. Tonnen Methan gespeichert sein - ein Viertel der weltweiten Bestände. Methan ist als Treibhausgas wesentlich wirkungsvoller als Kohlendioxid. Im Nordosten Sibiriens lagert noch mehr davon, denn auf einer Fläche von einer Million Quadratkilometer besteht der Boden bis in eine Tiefe von 20 bis 30 Metern aus organischem Material. Insgesamt 500 Mrd. Tonnen. "Taut dieser Boden auf, wird allein dadurch jedes Jahr fast so viel Methan und Kohlendioxid freigesetzt, wie heute weltweit durch die gesamte Verbrennung von Kohle, Gas und Erdöl." Die massive Freisetzung von natürlichen Treibhausgasen hat eine sogenannte positive Rückkopplung zur Folge: Der von Menschen verursachte Treibhauseffekt bringt den Dauerfrostboden zum Auftauen - das Auftauen des Dauerfrostbodens setzt Treibhausgase frei, die wiederum den Treibhauseffekt verstärken - die daraus resultierende forcierte globale Erwärmung taut weiteren Dauerfrostboden auf, was zusätzliche Treibhausgase freisetzt. Die positive Rückkopplung ist folglich ein sich selbst verstärkender Vorgang, der von außen kaum zu beeinflussen ist. Sollte es tatsächlich dazu kommen, wäre der Treibhauseffekt auch mit einer drastischen Reduzierung der von Menschen emittierten Treibhausgase nicht mehr aufzuhalten. Die Menschheit könnte dem Ganzen bloß noch als hilfloser Beobachter beiwohnen. Die durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen verursachten globalen CO2-Emissionen sind zwischen 1990 und 2004 von 21,9 Mrd. Tonnen auf 27,5 Mrd. Tonnen gestiegen. [2] Das ist ein Zuwachs von 25 Prozent. Von einer Besserung oder gar Umkehr menschlichen Verhaltens kann daher nicht gesprochen werden. Im Gegenteil, der wachsende Energiehunger Asiens wird die Situation weiter verschärfen. Wir müssen also unsere Anstrengungen, zur bisherigen Entwicklung Alternativen aufzuzeigen und umzusetzen, erheblich verstärken. Wie gedankenlos wir handeln, belegt beispielsweise der Zustand der Automobilindustrie. Größer, schneller, schwerer - das ist immer noch der vorherrschende Trend auf den Straßen. Und solange Bequemlichkeit und Statusdenken einen größeren Stellenwert besitzen als der Umweltschutzgedanke, wird sich daran kaum etwas ändern. ---------- [1] Frankfurter Rundschau vom 24.05.2006 [2] Frankfurter Rundschau vom 22.03.2006 |