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01. Juni 2006, von Michael Schöfer
Die rosarote Brille


Unsere Politiker müssen endlich ihre rosarote Brille absetzen, das wäre nämlich bei der Beurteilung der ökonomischen Lage äußerst hilfreich. So hat man heute beinahe überschwenglich den Rückgang der Arbeitslosenzahlen gefeiert. Die Arbeitslosigkeit sei im Mai 2006 "überraschend stark" gesunken, hieß es. Im Vergleich zum Vorjahresmonat gab es 349.000 Arbeitslose weniger. [1] Der Aufschwung kommt - das ist zumindest die rosarote Version.

Tut mir leid, wenn ich Wasser in den Wein der Euphorie schütten muß. Denn die eigentlich wichtigen voll sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze haben im Vergleich zum Vorjahr weiterhin abgenommen. Im März 2005 waren es 26,13 Mio. [2]. Im März 2006 (neuere Angaben sind nicht verfügbar) waren es allerdings nur noch 25,91 Mio. [3]. Gestiegen sind freilich die abgabenfreien Minijobs: Auf jede per Saldo verlorene sozialversicherungspflichtige Stelle kommen zwei neue Minijobs, mittlerweile sind es insgesamt 4,9 Mio. [4]

Mit anderen Worten: Die Besserung auf dem Arbeitsmarkt ist nur eine scheinbare. In Wahrheit verschlechtert sich die Lage immer weiter, selbst wenn sich der Abbau der sozialversicherungspflichtigen Jobs zuletzt verlangsamt hat.

Was bedeutet das für den Aufschwung? Der soll ja, wie stets in den zurückliegenden Jahren, unmittelbar bevorstehen. Bekanntlich schwächelt - mangels Kaufkraft - die Binnenkonjunktur. Aber der Indikator für das, was sich auf dem Binnenmarkt abspielt, die Umsätze des Einzelhandels, weist nach wie vor nach unten. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, sind die Umsätze im April 2006 gegenüber dem Vorjahresmonat um 0,4 Prozent gesunken.

Das ist schon ein merkwürdiger Aufschwung, bei dem die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und der Absatz des Einzelhandels zurückgehen. Die Politiker müssen in der Tat erst ihre rosarote Brille absetzen, bevor sie merken, daß Gesundbeten allein nicht hilft. Beten hat noch nie geholfen - weder in der Wirtschaft noch bei anderen Gelegenheiten.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 01.06.2006
[2] Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktbericht Monatsbericht Mai 2005, Seite 40
[3] Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktbericht Monatsbericht Mai 2006, Seite 49
[4] Frankfurter Rundschau vom 01.06.2006