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02. Juni 2006, von Michael Schöfer
Schenkt Merkel einen Drehmomentschlüssel


Die Kunst der Verschraubung hat den Handwerkern früher einiges an Feingefühl und Berufserfahrung abverlangt. Zogen sie die Schraube mit einem herkömmlichen Schraubenschlüssel zu fest an, konnte das Werkstück beschädigt werden. Bestenfalls brach dabei nur die Schraube ab. Das ist wohl schon jedem passiert, etwa bei der Reparatur des eigenen Fahrrades. Selbstverständlich ist gegen derlei Unbill ein Kraut gewachsen: der Drehmomentschlüssel. Sein Anwendungsprinzip besteht - kurz gesagt - darin, daß er Schrauben bloß bis zu einer vorher genau festgelegten Stärke anzieht. Und die noch zulässige Stärke läßt sich natürlich individuell (für jeden Schraubentyp) berechnen, ein Überdrehen ist somit von vornherein ausgeschlossen.

In der Politik sind solche Sicherungen absolut unüblich, dabei wären sie gerade dort notwendiger denn je. So hat beispielsweise der Deutsche Bundestag gerade eine Verschärfung beim Arbeitslosengeld II (Hartz IV) beschlossen. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) verteidigte die Gesetzesnovelle u.a. damit, es "dürfe nicht sein, dass sich die Langzeitarbeitslosen in der staatlichen Unterstützung einrichten". Und der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, forderte gar, für ALG II-Bezieher einen bislang vom Grundgesetz verbotenen Arbeitszwang einzuführen (Artikel 12 Abs. 2: Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht). [1]

Dabei fehlt es gegenwärtig hauptsächlich an freien Stellen, doch das ist wohl kaum die Schuld der Langzeitarbeitslosen. Deshalb sind Forderungen nach verstärktem Druck auf Hartz IV-Empfänger zynisch und menschenverachtend. Wer schützt Politiker vorm Überdrehen der sozialen Schraube? Kann man Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht einen Drehmomentschlüssel schenken? Das wäre endlich mal etwas Praktisches. Er könnte verhindern, das Werkstück Deutschland endgültig zu beschädigen, denn bei Fortführung dieser unbarmherzigen Politik wird es hierzulande irgendwann unweigerlich zu einer sozialen Explosion kommen.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 02.06.2006