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27. Juni 2006, von Michael Schöfer
Bruno ist tot


Noch vor wenigen Tagen hieß es unisono, der Braunbär "Bruno" (alias JJ1) sei ein Problembär, weil er mangelnde Scheu vor Menschen zeige. "Bären-Experten stufen dieses Verhalten als überaus problematisch, ja als gefährlich ein", schrieb beispielsweise die Frankfurter Rundschau. [1] Die Boulevardpresse überzog natürlich. Wie immer in solchen Fällen. Im Blatt mit den großen Buchstaben mutierte Bruno zum "Killer-Bär", obgleich er Menschen weder angegriffen noch getötet hat. [2]

Heute, nachdem Bruno endlich von Jägern zur Strecke gebracht wurde, heißt es jedoch: "Deutschland trauert um den wilden Bären." [3] Nun hagelt es plötzlich geharnischte Proteste und sogar Strafanzeigen. Der Abschuß sei angeblich nicht notwendig gewesen, behaupten manche naßforsch. Die bayerische SPD fordert den Rücktritt von Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf (CSU), zudem gibt es bereits Morddrohungen gegen den Schützen. [4] BILD bringt die (inszenierte?) Stimmung selbstverständlich am pathetischsten auf den Punkt: "JJ1 ist in unseren Herzen unsterblich." Ich höre förmlich die Krokodilstränen plätschern, die ganze Redaktion steht bestimmt meterhoch unter Wasser.

Ich behaupte erst gar nicht, ein Bärenexperte zu sein. Dieses Schicksal teile ich mit 99,99 Prozent der Bevölkerung. In solchen Dingen müssen wir uns zwangsläufig auf den Rat der Experten verlassen. Die Experten rieten jedenfalls übereinstimmend dazu, Bruno möglichst schnell außer Gefecht zu setzen. Da es - entgegen der ursprünglichen Absicht - nicht gelang, den Bär lebend zu fangen, war der Abschuß in meinen Augen gerechtfertigt.

Man stelle sich vor, Bruno hätte einen Menschen angefallen, das Geschrei wäre riesengroß gewesen. Der Politik hätte man in diesem Fall - übrigens völlig zu Recht - Untätigkeit respektive Dilettantismus vorgeworfen. Jetzt auf einmal demonstrativ Mitleid mit dem Tier zu bekunden, seinen Tod obendrein politisch auszuschlachten, ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. Es ist gut, daß diesmal reagiert wurde, ehe das Kind in den Brunnen fiel. Allzu oft beklagen wir ja das Gegenteil.

Ob im dichtbesiedelten Deutschland jemals wieder Bären ohne Gefahr für die Bevölkerung heimisch werden können, ist äußerst fraglich. Immerhin sind Bären keine putzigen Kuscheltiere, sondern gefährliche Raubtiere. Aber letztlich müssen das Sachverständige entscheiden. Doch an Menschen gewöhnte Bären, die sich auffällig - d.h. wenig artgerecht - benehmen, bedeuten für die Bevölkerung ein unverantwortlich hohes Risiko. Solche Tiere darf man hier niemals dulden. Insofern ist das Gezetere um den Tod von Bruno absolut überflüssig.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 16.06.2006
[2] BILD.de vom 24.06.2006
[3] BILD.de vom 27.06.2006
[4] Frankfurter Rundschau vom 27.06.2006