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13. Juli 2006, von Michael Schöfer
Pervertierung der Terrorbekämpfung

Am 28. September 2001, kurz nach den Terroranschlägen in den USA, beschloß der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1373. Ziel der Resolution ist, dem Terror die finanzielle Basis zu entziehen. Sie verbot die "vorsätzliche Bereitstellung oder Sammlung von Geldern", die "zur Ausführung terroristischer Handlungen verwendet werden." (...) "Gelder und sonstige finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen von Personen, die terroristische Handlungen begehen", sind einzufrieren. Überdies darf man Terrorverdächtigen keine "Gelder, finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen oder Finanz- oder damit zusammenhängende Dienstleistungen" zur Verfügung stellen. Es wurde untersagt, "Einrichtungen oder Personen, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind, in irgendeiner Form aktiv oder passiv zu unterstützen", beispielsweise durch Unterschlupfgewährung. Die Resolution ist für alle UN-Mitgliedstaaten verbindlich. Und die Liste der Terror-Verdächtigen wird ständig aktualisiert. So weit, so gut.

Daß man den Terrorismus nicht nur mit militärischen Maßnahmen besiegen kann, ist mittlerweile durch das Debakel im Irak offensichtlich geworden. Von daher war und ist es schlüssig, ihm darüber hinaus auch seine wirtschaftliche Grundlage zu entziehen. Die Resolution 1373 schuf freilich - vielleicht ungewollt - einen rechtsfreien Raum. Denn "wer aufgrund von Geheimdiensterkenntnissen, die den Betroffenen nicht zur Kenntnis gebracht werden müssen, auf die Liste mutmaßlicher Terroristen gerät, hat es schwer. Konten werden eingefroren, Kreditkarten verlieren ihre Gültigkeit ebenso wie Pässe, im Prinzip kann weder Geld verdient noch ausgegeben werden. Es handelt sich um eine Art wirtschaftliche Isolationshaft, die jede Hilfe für Terrororganisationen unmöglich machen soll." [1]

Allerdings hat jemand, der seiner Ansicht nach zu Unrecht auf der Liste steht, etwa durch eine zufällige namentliche Übereinstimmung, kein Recht, dies gerichtlich überprüfen zu lassen. "Nach Ansicht des 'Europäischen Gerichts Erster Instanz' in Luxemburg steht den Betroffenen keine Klagemöglichkeit zu, da der Sicherheitsrat es nicht für angebracht gehalten hat, ein unabhängiges internationales Gericht zu schaffen, das in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht über Klagen gegen die Einzelfallentscheidungen des Sanktionsausschusses zu befinden hat." [2] Man ist der Terrorliste also völlig hilflos ausgeliefert, verliert auf bloßen, gerichtlich nicht überprüfbaren Verdacht hin seine ökonomische Existenz. Ungeheuerlich. Arbeitgeber, Vermieter, Banken, Verwandte oder Freunde - sie alle machen sich der Resolution zufolge strafbar, sofern sie Personen, die auf der Liste stehen, Unterstützung gewähren. Außerdem könnten sie dadurch ihrerseits auf der Terrorliste landen.

Damit schießt die Resolution weit übers Ziel hinaus. Den Terrorismus zu bekämpfen, ist zweifellos richtig. Aber die Preisgabe demokratischer Mindeststandards im allgemeinen und die gerichtliche Überprüfung staatlicher Maßnahmen im besonderen ist entschieden abzulehnen. Sie steht zudem im Widerspruch zu internationalen Abkommen.

Zum Beispiel der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte":

Artikel 8
Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden.

Artikel 10
Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.

Artikel 11
Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

Fast gleichlautend der Text der "Charta der Grundrechte der Europäischen Union":

Artikel 47
Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht
Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.


Artikel 48
Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte
(1) Jede angeklagte Person gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis ihrer Schuld als unschuldig.
(2) Jeder angeklagten Person wird die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.

Daß ausgerechnet die Vereinten Nationen (Präambel der UN-Charta: "Wir, die Völker der Vereinten Nationen - fest entschlossen, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen zu bekräftigen") dagegen verstoßen, ist grotesk. Mit der Resolution 1373 wird die Gewaltenteilung faktisch ausgehebelt, die Verdächtigen demnach ihrer eigentlich unveräußerlichen Grundrechte beraubt. Dies ist absolut inakzeptabel. Menschenrechte gelten nämlich auch für mutmaßliche Terroristen und deren angebliche Unterstützer, alles andere wäre eine Verhöhnung der Ziele der Vereinten Nationen. Es wird Zeit, die Pervertierung der Terrorbekämpfung, und um nichts anderes handelt es sich hier, schnellstmöglich zu korrigieren. Demokratische Prinzipien bewahrt man nicht, indem man sie abschafft. Vielmehr spielt man auf diese Weise dem Terrorismus geradezu in die Hände, denn nichts ist verheerender, als diesbezüglich die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren. Wer folglich seiner Meinung nach zu Unrecht auf der Terrorliste steht, muß das in einem rechtsstaatlichen Verfahren überprüfen dürfen.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 13.07.2006
[2] Frankfurter Rundschau vom 13.07.2006