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22. August 2006, von Michael Schöfer
Zielscheibe Deutschland


Wir hatten Glück im Unglück. Glück, daß die Täter, die am 31. Juli in Dortmund und Koblenz in zwei Regionalzügen Bomben deponiert hatten, ziemlich unprofessionell agierten. Erstens erwiesen sich ihre Sprengsätze als Blindgänger, zweitens hinterließen sie in den Bombenkoffern Spuren, die in den Nahen Osten führten, und drittens hat zumindest der jetzt Festgenommene - wenngleich unwissentlich - auch noch tatkräftig zu seiner eigenen Verhaftung beigetragen. Nach allem was wir gegenwärtig wissen, war es nämlich mitnichten die Videoaufzeichnung, die zur Identifizierung eines der beiden Täter führte, sondern vielmehr ein Telefonat mit seiner Familie im Libanon. Das Gespräch wurde vom dortigen Militärgeheimdienst mitgeschnitten und die Information über die Identität des Bombenlegers an die deutschen Behörden weitergereicht.

Die Video-Fahndung habe nach Angaben von Jörg Ziercke, dem Präsidenten des BKA, "zur Verunsicherung beim Betroffenen" geführt. [1] Das mag durchaus sein, aber einer professionell arbeitenden Terrorzelle wäre man vermutlich nicht so schnell auf die Spur gekommen. Deren Sprengsätze wären möglicherweise hochgegangen, die Täter hätten überdies ihre Identität bestimmt geschickter zu verschleiern gewußt. Glück im Unglück eben. Immerhin wurde mit dem Anschlagsversuch klar, Deutschland ist endgültig zur Zielscheibe islamischer Fundamentalisten geworden. Die Hoffnung, das Schicksal von London und Madrid möge uns erspart bleiben, war unberechtigt.

Wie so oft bei derartigen Anlässen reagieren Politiker mit dem berühmten Pawlowschen Reflex: sie fordern härtere Gesetze. Doch ist höchst zweifelhaft, ob man damit Anschläge wirklich verhindern kann. Am sinnvollsten erscheint noch die verstärkte Videoüberwachung neuralgischer Punkte. Sie ist aber keine Präventivmaßnahme, die Anschläge erfolgreich vereitelt. London gilt als die am besten überwachte Stadt Europas, angeblich sind dort eine halbe Million Überwachungskameras installiert. Trotzdem hat das am 7. Juli 2005 die Attentate in der Londoner U-Bahn nicht verhindert.

Überwachungskameras suggerieren mithin der Bevölkerung ein Sicherheitsgefühl, das der Realität nicht entspricht - wenigstens nicht in bezug auf den Terrorismus. Die Videobänder haben damals nur im nachhinein zur raschen Aufklärung beigetragen. Dennoch rechtfertigt m.E. schon allein das ihren verstärkten Einsatz. Man sollte sich freilich angesichts des Täterprofils, mit dem wir konfrontiert sind, keine allzu großen Hoffnungen machen, damit bereits im Vorfeld etwas gegen beabsichtigte Terrorakte unternehmen zu können. Auf haßerfüllte Fanatiker macht selbst die stärkste Videoüberwachung keinen Eindruck.

Häufig wird nun darüber hinaus die möglichst rasche Einführung einer Anti-Terror-Datei gefordert. Informationen besitzen zweifellos einen ungleich größeren Präventivcharakter als Videoaufzeichnungen. Ob eine Anti-Terror-Datei, so sie denn bereits bestünde, den aktuellen Anschlagsversuch wirklich verhindert hätte, muß sich allerdings erst noch herausstellen. War der in Kiel gefaßte Täter überhaupt in irgendeiner Datenbank erfaßt? Zudem ist jede Datei bloß so gut, wie die Informationen, mit der man sie füttert. Wenn die Bundesländer indes bei der Polizei weiterhin massiv Personal abbauen, ist höchst ungewiß, mit welcher Datenqualität und Bearbeitungskapazität man faktisch rechnen darf. Daten, die auf Datenträgern schlummern, aber mangels Personal nicht abgerufen, ordentlich gepflegt oder gewissenhaft ausgewertet werden, sind ohne Zweifel nutzlos. In diesem Fall hätte die Anti-Terror-Datei lediglich Alibi-Charakter, nicht viel mehr als ein Potemkinsches Dorf zur Beruhigung der Bevölkerung. Seht her, wir tun ja was!

Außerdem muß man bei der Verarbeitung von Geheimdienstinformationen höllisch aufpassen, sie unterliegen bekanntlich keiner rechtsstaatlichen Kontrolle und sind deshalb mit größter Vorsicht zu genießen. Gleichwohl geht es hier nicht um das Ob, sondern um das Wie. Natürlich will kein Bürger orwellsche Zustände, doch darf man den Behörden andererseits nicht von vornherein die Mittel verweigern, mit denen sie - zumindest potentiell - den Terrorismus wirksam bekämpfen können. Mehr kann man darüber erst sagen, wenn Einzelheiten bekannt sind. Keinesfalls darf dabei aber, wie etwa die UN-Resolution 1373 vorexerziert [2], der Rechtsstaat völlig ausgehebelt werden.

Alles in allem eine äußerst schwierige Gratwanderung. Die Terrorgefahr, mit der der Westen momentan zu kämpfen hat, sollte jedenfalls nicht auf die leichte Schulter genommen werden. In absehbarer Zeit wird sich die Lage kaum bessern. Im Gegenteil, angesichts der ignoranten US-Politik ist eher mit einer Verschärfung zu rechnen. Der Konflikt, in dem wir uns befinden, ist allerdings nur politisch zu lösen. Ob man ihn unter Beibehaltung der gegenwärtigen Politik allein mit militärischen Mitteln gewinnen kann, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Härtere Gesetze zu fordern, ist relativ leicht. Ein schlüssiges politisches Konzept auszuarbeiten, ist dagegen um so schwerer. Gerade an letzterem mangelt es uns jedoch. Solange das so bleibt, muß man befürchten, daß sich der Terror bis auf weiteres fortsetzt. Und da niemand absolute Sicherheit garantieren kann, härtere Gesetze hin oder her, werden Anschläge vermutlich nicht immer so glücklich ausgehen.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 22.08.2006
[2] vgl. Pervertierung der Terrorbekämpfung vom 13.07.2006