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19. September 2006, von Michael Schöfer
Islam und Gewalt


Nehmen wir einmal an, im Islam gäbe es noch das Kalifat. Die Stellung des Kalifen, "Nachfolger des Gesandten Gottes“ oder "Stellvertreter Gottes [auf Erden]", entspräche dann in etwa der des Papstes. Daß die Kalifen früher die weltliche und geistliche Macht in ihrer Person vereinten, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Nehmen wir weiter an, der heutige islamische Kalif würde in einer Rede dem Christentum vorwerfen, die Verbreitung des Glaubens durch das Schwert zum Ziel zu haben.

Na und? Hierzulande würde sich darüber wohl kaum jemand wirklich echauffieren. Vor allem, weil der Kalif, wenigstens was die Vergangenheit angeht, vollkommen recht hätte. Die Kreuzzüge der Christen (von 1064 bis 1444) wurden bekanntlich religiös gerechtfertigt, etwa mit "der Befreiung Jerusalems und des Heiligen Landes Palästina aus der Hand der Ungläubigen", hatten aber darüber hinaus auch wirtschaftliche Motive. [1] Christen würden vielleicht mit Nachdruck darauf hinweisen, daß das jetzige Christentum Gewalt zur Verbreitung des Glaubens ablehnt. Doch damit wäre die Angelegenheit auch schon erledigt, Brandanschläge auf Moscheen oder gar Morde (in Somalia wurde nach der Papst-Rede eine Nonne erschossen) gäbe es vermutlich nicht.

Die Rede, die Papst Benedikt XVI. in der Universität Regensburg gehalten hat und in der er den byzantinischen Kaiser Manuel II. (1350-1425) mit den Worten zitiert "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten", hat bei den Moslems zu heftigen Protesten geführt. Zunächst ist offensichtlich die Intention des Papstes gründlich mißverstanden worden, denn in seiner Rede hat er Gewalt zur Verbreitung des Glaubens eine klare Absage erteilt. Ihm das zu bescheinigen, muß man kein Papst-Anhänger sein:

"Der Kaiser begründet, nachdem er so zugeschlagen hat, dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. 'Gott hat kein Gefallen am Blut', sagt er, 'und nicht vernunftgemäß (...)  zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung. Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann.' Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider."

Natürlich kann man die Rede des Papstes auch so interpretieren, als hielte er dem Islam dennoch vor, die "Verbreitung des Glaubens mit dem Schwert" zu verfolgen, obgleich Benedikt XVI. darin die dem Vorwurf widersprechende Sure 2:256 zitiert: "Es soll kein Zwang sein im Glauben." Und in der Tat ist Gewalt zur Verbreitung des Glaubens beim Islam zumindest der Theorie nach umstritten. Darauf weisen gemäßigte Moslems immer wieder hin: "Islam ist die Religion der Barmherzigkeit und Vergebung. Anwendung von Gewalt und Strafe ist Ausnahme. (...) Erleichtere, übe Nachsicht, rate das Gute, wende dich ab von denen, die nichts wissen wollen. (Sure 7, 199)" [2] oder "Lass den gläubig sein, der will, und den ungläubig sein, der will. (Sure 18:30)" [3]

Der Begriff des Dschihad ("sich bemühen, sich anstrengen, kämpfen" oder "das Bemühen auf dem Wege Gottes") [4] wird im Westen häufig falsch gedeutet und ausschließlich mit dem "heiligen Krieg gegen die Ungläubigen" gleichgesetzt. Es ist die islamische Praxis, die es uns verleitet, den Islam differenzierter zu betrachten. Die islamischen Fundamentalisten okkupieren nämlich den Begriff "Dschihad" für sich und rechtfertigen damit den Terror gegen alle Ungläubigen, worunter in ihren Augen übrigens auch viele Moslems fallen. Daß es islamische Rechtsgelehrte gibt, die Terrorismus als unislamisch verurteilen, spielt dann keine Rolle mehr. Solche Äußerungen werden, etwa im Gegensatz zu den Verlautbarungen Osama bin Ladens, dem Begründer von Al-Qaida, meist nicht zur Kenntnis genommen. Wer weiß schon, daß bin Laden gar kein islamischer Rechtsgelehrter ist und deshalb im Prinzip überhaupt kein Rechtsgutachten (fatwa) abgeben darf? Der Vollständigkeit halber soll aber ebenso darauf hingewiesen werden, daß es islamische Rechtsgelehrte gibt, die die Anschläge vom 11. September gerechtfertigt haben. Dazu sind die Meinungen im Islam leider extrem unterschiedlich.

Doch das ist momentan nicht entscheidend, denn zweifellos darf selbst ein formal nicht zu Rechtsgutachten legitimierter Osama bin Laden in der Bevölkerung der islamischen Staaten mit vergleichsweise großer Sympathie rechnen. Die häufig uninformierten und ungebildeten Massen neigen ebensowenig zu differenzierten Betrachtungen, wie das bei vielen anderen der Fall ist bzw. war. Auch die christliche Inquisition widersprach dem Geist des christlichen Glaubens. Das hat die christlichen Fundamentalisten jedoch nicht daran gehindert, sie jahrhundertelang zu praktizieren. Und so kommt es zu der paradoxen Situation, daß wegen einer Rede des Papstes, in der er dem Islam vermeintlich Gewalttätigkeit attestierte, Brandanschläge und Attentate ausgeübt werden. Mit anderen Worten: In der Praxis gibt man der mißverstandenen Intention des Papstes nachträglich recht. Oder polemisch ausgedrückt: Wer dem Islam - der Meinung der Moslems zufolge fälschlicherweise - eine Neigung zur Gewalt unterstellt, hat daraufhin mit der Ausübung von Gewalt durch Islamisten zu rechnen.

Zu alledem kommt das nicht unberechtigte Mißtrauen gegenüber dem Islam. In den islamischen Ländern ist Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit oder die Einhaltung der Menschenrechte fraglos Mangelware. Mit unseren Vorstellungen, die ihren Ursprung in der Aufklärung haben, ist die dortige gesellschaftliche Realität nicht zu vereinbaren. Darüber hinaus werden die Vorbehalte durch die den Moslems erlaubte Verstellung (Takiya) genährt. Es handelt sich hierbei um "die Glaubenspflicht für Muslime, aus Nutzenkalkül heraus, d.h. wenn es der Ausbreitung des Islam dient, die 'Ungläubigen' über ihre wahren Absichten zu täuschen." [5] Insofern sind offizielle Distanzierungen von Gewalttaten durchaus mit Vorsicht zu genießen - es könnte sich um einen klassischen Fall von Takiya handeln. Muß nicht, kann aber. Um nicht mißverstanden zu werden: Gelogen wird natürlich auch im Westen, hierfür ist US-Präsident George W. Bush derzeit wohl das beste Beispiel.

Einfache Lösungen, die aus der verfahrenen Situation herausführen, sind nicht ersichtlich. Der Dialog der Kulturen wird durch Engstirnigkeit (auf beiden Seiten - siehe George W. Bush) extrem erschwert. Insbesondere islamische Dissidenten müssen um ihr Leben fürchten, sofern sie der Auslegung der Fundamentalisten öffentlich widersprechen. Ob von daher ein fruchtbarer Austausch überhaupt möglich ist, darf bezweifelt werden. Gleichwohl gibt es m.E. keine andere Alternative als den Versuch des Dialogs. Es sei denn, man ließe sich auf die Logik der Islamisten ein und reagiert bloß mit Gewalt, doch damit würde man ihnen geradewegs in die Hände spielen.

Allerdings darf hierbei die freie Meinungsäußerung nicht unter die Räder kommen. Es wäre fatal und wenig zweckdienlich, würde man sich diesbezüglich im Westen aus Angst vor gewalttätigen Reaktionen zurückhalten. Die Rede des Papstes ist ein gutes Beispiel. Wenn man jemanden unbedingt mißverstehen will, kann dazu jede x-beliebige Meinungsäußerung zum Anlaß genommen werden. Und es ist nicht einzusehen, warum wir uns Denk- und Redeverbote von anderen aufzwingen lassen sollen. Daß wir uns in bezug darauf einschränken, ist ja gerade das Ziel der Fundamentalisten. Aus dem Willen, ihnen entgegenzutreten, resultiert die Verpflichtung, weiterhin unsere Überzeugungen zu praktizieren. Uneingeschränkte Meinungsfreiheit ist somit unverzichtbar. Sie ist lebensnotwendig für das Funktionieren der Demokratie. Und letztere wollen wir schließlich nicht aufgeben - selbst wenn wir von deren Gegnern, wer immer es konkret sei, angegriffen werden.

Die Rede des Papstes im Wortlaut.

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[1] Wikipedia, Kalifat und Kreuzzüge
[2] Religionsgemeinschaft des Islam, Landesverband Baden-Württemberg
[3] Wikipedia, Ahmadi/Ahmadiyya:Dschihad
[4] Wikipedia, Dschihad
[5] Evangelischer Pressedienst