Home | Archiv
| Leserbriefe | Impressum 09. Oktober 2006, von Michael Schöfer Nordkorea und die Bombe Nordkorea hat, was etliche bereits seit langem befürchteten, die Bombe. Nach dem Atomwaffentest von Montag früh (3:36 Uhr MESZ) scheint nun endgültig klar zu sein, daß die Volksrepublik Mitglied im Club der Atommächte geworden ist. Willkommen sind die Nordkoreaner dort nicht, denn in den meisten Staaten gilt das abgeschottete stalinistische Regime als unberechenbar. Das mag einerseits auf Unkenntnis beruhen. Kremlastrologen, die früher über die Absichten der Sowjetunion rätselten, waren im Vergleich zu den Beobachtern von Kim Jong Ils Reich geradezu Hellseher. Einer der letzten kommunistischen Staaten ist vielen ein undurchschaubares Mysterium, über die wahren Beweggründe für den Atomwaffentest kann man deshalb nur spekulieren. Andererseits gibt es in der Tat Anzeichen dafür, daß die Führung des Landes paranoide Züge aufweist. Wie auch immer, Nordkorea wird jedenfalls allgemein als Gefahr für die übrige Welt angesehen. Entsprechend groß ist jetzt die Empörung. Selbst China, faktisch der letzte Verbündete der Nordkoreaner, protestiert heftig. Sollte die Führung der Volksrepublik tatsächlich paranoid und unberechenbar sein, dürfte der Atomwaffenbesitz zu einem äußerst gefährlichen Problem werden. In der Zeit des Kalten Krieges war die internationale Lage zweifellos brisant. Gleichwohl konnte man der bis an die Zähne bewaffneten Sowjetunion ein Mindestmaß an rationalem Handeln unterstellen. Die Logik der "wechselseitig zugesicherte Zerstörung" (MAD, mutual assured destruction) veranlaßte nämlich die frühere kommunistische Weltmacht zu einer vorsichtigen, ja fast als defensiv zu bezeichnenden Handlungsweise. Das Gleichgewicht des Schreckens, wer als erster schießt, stirbt als zweiter, war der politischen Führung in Moskau stets präsent und bewahrte uns vor dem Atomkrieg, wenngleich die Supermächte in manchen Situationen, etwa während Kuba-Krise, der Schwelle zum Atomwaffeneinsatz gefährlich nah kamen. Doch aus dem Kalten Krieg wurde zum Glück nie ein heißer. Ob man Nordkorea das gleiche Maß an rationalem Handeln unterstellen kann, ist fraglich. Gerade weil sich das Regime nach außen hin rigoros abschottet, ist man im großen und ganzen auf Mutmaßungen angewiesen. Und Mutmaßungen folgen in solchen Dingen eher der "worst case"-Doktrin, dem ungünstigsten anzunehmenden Fall. Wer nichts weiß, muß alles glauben. Kim Jong Il glaubt man gar nichts, vielmehr traut ihm die Weltgemeinschaft bloß Schlechtes zu. "In den 1990er Jahren verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation Nordkoreas (...) und das Land wurde von großen Hungersnöten heimgesucht. In dieser Zeit sollen bis zu zweieinhalb Millionen Menschen, gut ein Zehntel der Gesamtbevölkerung Nordkoreas, verhungert sein. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation sind noch heute acht Millionen Menschen in Nordkorea chronisch unterernährt. Eine Untersuchung des World Food Programs im Jahr 2004 ergab, dass 37 % aller Kinder chronisch unterernährt seien." [1] Einer Regierung, die aus ideologischen Gründen derartiges verursacht bzw. in Kauf nimmt, unterstellt man alles. Vermutlich zu Recht. Insofern hat die Lage durch den Atomtest wirklich an Schärfe gewonnen. Vielleicht hegt die Regierung in Pjöngjang in Wahrheit gar keine aggressiven Absichten und möchte mit den Atomwaffen lediglich ihr totalitäres System verteidigen. Dieses Motiv wäre noch als einigermaßen rational zu bezeichnen, es entbehrt nicht einer gewissen Logik. Jeder überlegt sich dreimal, ob er sich mit einem Atomwaffenstaat anlegt. Eine Maxime, die auch Supermächte beherzigen sollten. Hätte beispielsweise Saddam Hussein seinerzeit über Atomwaffen verfügt, wären die USA wahrscheinlich vor einem Angriff auf den Irak zurückgeschreckt. Aber der Besitz von Atomwaffen hat nicht nur eine Abschreckungskomponente, sondern trägt ebenso zu einer dramatischen Zuspitzung bei. Atomwaffenstaaten sind logischerweise im Fadenkreuz aller übrigen Atomwaffenstaaten. Atomwaffen schrecken nicht nur ab, sie ziehen förmlich andere Atomwaffen magnetisch an. Sollten die USA die Führung und das Militär Nordkoreas bislang noch nicht in die Zielcomputer ihrer Nuklearstreitkräfte einprogrammiert haben, jetzt tun sie das gewiß. Jede eingebildete oder reale Notlage könnte so zu einer verheerenden Eskalation führen. [2] Ob sich Kim Jong Il dessen bewußt ist? Wie soll man auf den Atomwaffentest reagieren? Nordkorea anzugreifen, käme einem Vabanquespiel gleich. Es durch Sanktionen in die Ecke zu treiben, ist nicht minder riskant. Doch hinnehmbar ist der Atombombenbau genausowenig. Eine echte Zwickmühle. Aber die Druckmittel sind offen gestanden ziemlich begrenzt. Dem ohnehin schon extrem isolierten Regime mit weiterer Isolierung zu drohen, dürfte ins Leere laufen. Ökonomische Sanktionen, unter denen hauptsächlich die Zivilbevölkerung leidet, sind der Staatsführung offenbar gleichgültig. Hungersnöte hat man dort schließlich schon in der Vergangenheit hingenommen. Darüber hinaus betrugen die Exporte Nordkoreas im Jahr 2004 nur 1,02 Mrd. US-Dollar, auch die Importe sind mit 1,84 Mrd. US-Dollar zu vernachlässigen. [3] Das entspricht der Ausrichtung des Landes, autark zu sein. Welche Mittel die Weltgemeinschaft wählen wird, ist vor diesem Hintergrund unklar. Unter Umständen hat China einen mäßigenden Einfluß auf Kim Jong Il. Sicher ist das allerdings nicht. Gleitet Nordkorea aus der Sicht Pekings in die Irrationalität ab, und sieht sich der Protektor im Norden dadurch selbst gefährdet, könnte es zu einem von China initiierten Regimewechsel kommen - sofern die Macht der Chinesen dazu überhaupt ausreicht. Auch das ist umstritten. Zumindest ist China in einer Schlüsselposition, da es Nordkorea mit Öl, Kohle und Lebensmitteln versorgt. Ein Ausbleiben der chinesischen Unterstützung könnte spürbaren Druck auf Pjöngjang ausüben - oder zur Verhärtung führen, mithin der entscheidende Funke, der das Pulverfaß möglicherweise zum Explodieren bringt. Je nachdem, wie man die nordkoreanische Führung psychologisch einordnet. Die Welt ist einigermaßen ratlos und steuert auf eine Krise zu. Da auch der Iran, ein Regime, das anscheinend ebenfalls nach Atomwaffen strebt und vielen genauso unberechenbar erscheint, Probleme bereitet, könnte sich die Krise rasch ausweiten. Der Fluch der Bombe ist das Wissen um ihren Bau. Es ist daher kaum abzusehen, ob - und wenn doch, wann - Atomwaffen wieder von diesem Planeten verschwinden werden. Hoffen wir, daß es gut geht und die Welt nie einen Atomkrieg erleben muß. Doch je mehr Atomwaffenstaaten existieren, desto bedrohlicher wird die Lage. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama propagierte 1992 das "Ende der Geschichte". Er "vertrat die These, dass sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der davon abhängigen sozialistischen und kommunistischen Staaten, bald die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft endgültig und überall durchsetzen würden". [4] Wie wir sehen, war nichts falscher als das. ---------- [1] Wikipedia, Nordkorea [2] zu den Widersprüchen des Abschreckungssystems vom 22.06.1983 [3] Auswärtiges Amt, Länderinformationen, Korea Demokratische Volksrepublik,Wirtschaftsdatenblatt [4] Wikipedia, Ende der Geschichte |