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29. Dezember 2006, von Michael Schöfer
Immer wenn es konkret wird...


Politikern wird oft vorgeworfen, sie seien total abgehoben, deshalb geben sie zuweilen den Volkstribun und äußern sich gerne populistisch. Schaut her, soll das suggerieren, wir tun was, wir kümmern uns um euch. Zum Beispiel beim Klimaschutz oder den unverschämt hohen Strompreisen.

Für den Klimaschutz sind alle, zumindest verbal. Und in letzter Zeit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ganz besonders. Schließlich muss er das schon allein qua Amt. "Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat vor den Folgen eines ungebremsten Klimawandels gewarnt. Wenn der Klimawandel nicht gestoppt werde, würden die Kinder ein anderes Deutschland vorfinden. (...) Die Erderwärmung fordere die ganze Menschheit heraus, daher müsse das Thema jetzt zur 'Chefsache' werden", sagte er unlängst. [1] Wow, Gabriel macht jetzt tatsächlich Ernst!

Die stark überhöhten Strompreise des Energie-Oligopols (RWE, Eon, Vattenfall und EnBW) werden von den Politikern ebenfalls gerne ins Visier genommen, etwa von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU): "Wir wollen es dem Kartellamt leichter machen, gegen ungerechtfertigte Preiserhöhungen vorzugehen, solange nicht genügend Wettbewerb auf den Energiemärkten in Deutschland herrscht", erklärte er. [2] Logisch, die ständigen Preiserhöhungen nerven. Und ordentlich über die Abzocker schimpfen entlastet wenigstens die Seele, wenn auch nicht die Geldbörse. So weit, so gut.

Doch immer wenn es konkret wird, zucken die Politiker zurück. Frei nach dem Motto: "Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht nass." Sobald Empfehlungen auf dem Tisch liegen, die wirklich etwas bewirken würden, fallen ihnen jede Menge Ausreden ein.

Beispiel 1: Das Bundesumweltamt hat gerade vorgeschlagen, auf allen Autobahnen ein Tempolimit von 120 km/h einzuführen. Zur Erinnerung: Deutschland ist das einzige Land in Europa ohne generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Eine geringere Höchstgeschwindigkeit bedeutet weniger Benzinverbrauch und demzufolge weniger CO2-Ausstoß. "Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde lässt sich der Kohlendioxid-Ausstoß um zehn bis 30 Prozent reduzieren", bestätigt UBA-Präsident Andreas Troge. [3] Eigentlich eine Binsenweisheit, die jedem Autofahrer durch die Praxis geläufig ist.

Die Einführung eines Tempolimits ist ein Vorschlag, der sich zudem schnell und kostengünstig umsetzen ließe. Was macht der ums Weltklima furchtbar besorgte Sigmar Gabriel? Nichts! Das Bundesumweltministerium lehnt das Tempolimit kurzerhand ab. Das Thema stehe nicht auf der Tagesordnung und sei "klimapolitisch nicht geboten", sagte ein Sprecher von Ressortchef Sigmar Gabriel lapidar. Hätte man uns schon früher sagen können, dass der Klimawandel offenbar doch nicht so bedrohlich ist. Die Erderwärmung fordert die ganze Menschheit heraus? Klimawandel als Chefsache? Kann ja gar nicht sein, wenn wir noch nicht einmal ein läppisches Tempolimit hinbekommen.

Beispiel 2: Die EU-Kommission fordert seit längerem eine "funktionale Entflechtung" von Stromerzeugung und Netzbetrieb, damit könnten die Strompreise endlich sinken. Zur Erinnerung: RWE, Eon, Vattenfall und EnBW betreiben 80 Prozent der Kraftwerke und sind darüber hinaus Eigentümer der Leitungsnetze. Und was macht die Bundesregierung, die sich sonst demonstrativ über die horrenden Strompreise echauffiert? Wenig. Den Wettbewerb auf den Energiemärkten mit Hilfe der EU-Kommission erzwingen, ist Glos' Sache jedenfalls nicht. Die Bundesregierung lehnt die von der EU-Kommission geforderte Entflechtung der Stromwirtschaft weiterhin strikt ab. "Eine rechtliche Trennung von Stromerzeugung und Netzbetrieb sei nicht notwendig. (...) Der Bund halte den privatwirtschaftlichen Netzbetrieb für die preisgünstigste und effizienteste Lösung", sagte der im Wirtschaftsministerium zuständige Staatssekretär Joachim Wuermeling. [4] Preisgünstig? Effizient? Vielleicht sollten wir die Rechnung unseres Stromversorgers noch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Wir müssen da irgend etwas falsch verstanden haben.

Etwas tun bedeutet, jemandem auf die Füße treten. Oder anders ausgedrückt: Von nichts kommt nichts. Natürlich legen sich die Politiker nicht gerne mit der Autofahrerlobby oder den Energieversorgern an. Autofahrer sind Wähler - und in der Bundesrepublik besitzt jeder Zweite ein Fahrzeug. Bei der Energiewirtschaft wären unter Umständen all die äußerst lukrativen Nebenjobs bzw. Altersruheplätze gefährdet - bekanntlich haben dort etliche Politiker ihr Auskommen gefunden [5]. Dafür haben wir Verständnis. Aber warum stören sie uns dann vorher durch lautes Gebrüll und infantiles Alphatiergetue, am Ende kommt doch eh nichts dabei heraus? Vielleicht weil wir, das Wahlvolk, immer wieder auf solche Scheingefechte hereinfallen?

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[1] Reuters vom 27.12.2006
[2] www.foerderland.de vom 21.12.2006
[3] Frankfurter Rundschau vom 29.12.2006
[4] Frankfurter Rundschau vom 29.12.2006
[5] vgl. Eine Hand wäscht die andere
vom 18.02.2006