Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



04. Januar 2007, von Michael Schöfer
Gefoltert wird selbstverständlich nicht


"Wir senden eine Botschaft an die Welt, dass die Vereinigten Staaten nicht wie die Terroristen sind", sagte der amerikanische Senator John McCain vor einem Jahr anlässlich der Verabschiedung des Anti-Folter-Gesetzes. Das Gesetz mache deutlich, "dass diese Regierung nicht foltert und dass wir uns an die internationale Konvention gegen Folter halten - egal ob zu Hause oder im Ausland", bekräftigte US-Präsident George W. Bush. [1] Bush spricht denn auch vorzugsweise von "harten Verhörmethoden", gefoltert wird unter seiner Regentschaft selbstverständlich nicht. Und genauso wenig wie der Präsident lügen würde, etwa in Bezug auf die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak, würde er gegen die Menschenrechte verstoßen.

Nur dumm, dass ausgerechnet die jeglicher Subversion völlig unverdächtige amerikanische Bundespolizei andere Dinge berichtet. Einem gerade veröffentlichten Dokument zufolge hat nämlich das FBI im Gefangenenlager von Guantánamo (Kuba) mindestens 26 Fälle der Misshandlung von Inhaftierten festgestellt. Der 244 Seiten lange Bericht basiert auf der Befragung von 493 FBI-Beamten. [2] Darin benennt das FBI detailliert Bushs "harte Verhörmethoden":

"Beschrieben wird unter anderem, dass der Kopf eines Gefangenen mit Klebeband eingewickelt wurde, um ihm am Rezitieren von Koranversen zu hindern. Ein anderer Häftling soll so lange in einem heißen Raum ohne Lüftung festgehalten worden sein, bis er sich vor Verzweiflung die Haare ausriss. Ferner soll ein weibliches Mitglied des Wachpersonals einen Inhaftierten sexuell gedemütigt haben." [3]

"Mehrere FBI-Mitarbeiter haben demnach gesehen, 'wie Gefangene an Händen und Füßen gefesselt in Embryonalstellung am Boden der Verhörräume über 18, 24 oder mehr Stunden ohne Nahrung oder Wasser' lagen. Vielfach hätten die hilflosen Häftlinge dabei im eigenen Urin und Kot liegen müssen." [4]

"Andere Gefangene seien bei heruntergefahrener Klimaanlage 'zitternd vor Kälte' oder in ungelüfteten, brütend heißen Räumen eingesperrt worden. [5]

"In einem anderen Fall soll eine Ermittlerin einen Häftling verprügelt und dessen Kopf so hart auf den Fußboden geschlagen haben, so dass dieser ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. (...) In mindestens einem Fall wurde ein muslimischer Häftling in eine israelische Fahne eingehüllt. Dies gilt unter Moslems als besonders schwere Demütigung. FBI-Mitarbeiter zitierten auch Beschwerden von Häftlingen. Danach sollen Ermittlerinnen als Strafe für mangelnde Zusammenarbeit ihre Brüste entblößt, Gefangenen in die Genitalien gegriffen oder mit Menstruationsblut beschmiert haben." [6]

"In einem der zitierten Fälle gab ein US-Ermittler an, dass es vier Tage dauere, um den Willen eines Gefangenen zu brechen. Dazu müsse der Häftling 16 Stunden lang hintereinander verhört, mit lauter Musik beschallt und mit Blitzlichtgewitter beleuchtet werden." [7]

Der Bericht erwähnt außerdem, dass man Gefangene am Schlafen gehindert habe. Bei einem Gefangenen wurden gebrochene Finger und Gesichtsverletzungen festgestellt. Angeblich mussten männliche Gefangene Frauenkleider anziehen und vor weiblichen Aufsehern einen Striptease-Tanz aufführen.

In Deutschland würden solche Verhörmethoden zweifellos als Folter gelten. Aber in den USA heißt es lediglich, die - übrigens nach wie vor völkerrechtswidrig festgehaltenen - Gefangenen würden bloß "hart angefasst". Ich frage mich, warum die Verantwortlichen in Bezug auf die Häftlinge in Guantánamo nicht längst von einem Karibikaufenthalt bzw. -urlaub sprechen. Aber vielleicht käme das selbst ihnen zynisch vor.

Zugegeben, die Verhörmethoden in Guantánamo sind nicht mit denen des gerade hingerichteten Saddam Hussein vergleichbar: Die "Gesellschaft für bedrohte Völker" hat dessen Foltermethoden aufgelistet [8]:
  • Herausschneiden der Zunge
  • Ausstechen der Augen
  • Elektroschocks
  • Verbrennungen mit Zigaretten
  • Ausreißen von Fingernägeln
  • Vergewaltigung von Häftlingen
  • Aufhängen an Gelenken über lange Zeiträume
  • Schläge mit Kabeln
  • Schläge auf die Fußsohlen
  • Durchbohren der Hände mit Bohrmaschinen
  • Scheinhinrichtungen
  • Einzelhaft über Jahre
  • Festnahme weiblicher Angehöriger eines Häftlings und deren Vergewaltigung in dessen Gegenwart
  • Zusendung von Videobändern an ins Ausland geflüchtete Oppositionelle, auf denen Vergewaltigungen weiblicher Angehöriger zu sehen sind
  • Amputation beider Hände
  • Übergabe zu Tode Gefolterter an Angehörige
  • Hetzen von Bluthunden auf Häftlinge
  • Amputation beider Ohren oder von rechter Hand und linkem Fuß mit Fernsehübertragung
  • Einbrennen von Brandzeichen auf die Stirn von Deserteuren
  • Brechen von Gliedmaßen
  • Verbrennen bei lebendigem Leibe
  • Entziehung von Wasser über längere Zeiträume
Gleichwohl verstoßen die USA mit der Behandlung der Gefangenen in Guantánamo gegen das Völkerrecht und von ihnen unterzeichnete Menschenrechtskonventionen. Zum Beispiel die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte":

Artikel 5
Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Artikel 8
Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden.

Artikel 9
Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten (...) werden.

Artikel 10
Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.

Artikel 11
Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

"Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind..." (Unabhängigkeitserklärung der USA vom 4. Juli 1776) Früher galten die USA hierzulande noch als demokratisches Vorbild, heute sprechen viele in Bezug auf Guantánamo und in Anlehnung an Alexander Solschenizyn vom amerikanischen "Archipel Gulag". Leider, wie man sieht, nicht völlig zu Unrecht. Es ist traurig, wie tief das "Land der Freien" und die "Heimat der Helden" (amerikanische Nationalhymne) mittlerweile gesunken ist. Die Arroganz der Macht, sich nicht um Rechtsgrundsätze zu scheren, ist alles andere als heldenhaft, sie ist beschämend. Vorbild USA - das ist auf Jahre hinaus passé.

----------

[1] tagesschau.de vom 16.12.2005
[2] FBI
[3] ZDF
[4] FAZ
[5] Aargauer Zeitung
[6] Der Tagesspiegel
[7] n-tv
[8] gfbv