Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



14. Januar 2007, von Michael Schöfer
Schlechtes Gewissen


"Jeder Einzelne ohne Arbeit ist einer zu viel. Wir müssen weiter alles tun, um Arbeitsplätze zu erhalten und zu mehr Wachstum und Beschäftigung zu kommen. Dabei gilt für mich: Sozial ist, was Arbeit schafft", verkündete Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) in seiner Neujahrsansprache. Recht hat er, wir müssen wirklich alles tun, um Arbeitsplätze zu erhalten respektive zu schaffen. An einer anderen Stelle seiner Ansprache betont er die Gerechtigkeit, darauf legt Oettinger - wenigstens nach außen hin - anscheinend großen Wert.

Natürlich darf eine Landesregierung nicht bloß auf die Bemühungen der Wirtschaft warten, sondern sollte im eigenen Bereich mit gutem Beispiel vorangehen. Doch wie sieht hier die Realität aus? Im Zuge der Verwaltungsreform muss die gesamte Landesverwaltung eine 20-prozentige "Effizienzrendite" erbringen. Im Klartext, es werden 20 Prozent der vorhandenen Arbeitsplätze abgebaut. Im Tarifbereich der Landespolizei sind das insgesamt 780 Stellen, und ein darüber hinausgehender Arbeitsplatzabbau (Stichwort: Datenstationen) ist bereits fest eingeplant. Von wegen "wir müssen weiter alles tun, um Arbeitsplätze zu erhalten". Schöne Worte, aber in Wahrheit handelt Oettinger ganz anders, de facto betätigt er sich nämlich als Arbeitsplatzvernichter.

Beim Punkt Gerechtigkeit hapert es genauso. Wegen der harten Haltung der Landesregierung müssen die befristet Beschäftigten bei der Polizei um ihre Weiterbeschäftigung bangen. Ist es etwa gerecht, wenn bewährte Kräfte gehen müssen, obgleich man sie durchaus halten könnte? Sind der Landesregierung diese Einzelschicksale völlig gleichgültig? Offenbar, doch man traut sich nicht, dies offen einzugestehen. Irgendwie scheinen die Verantwortlichen dennoch ein schlechtes Gewissen zu haben. Insgeheim wissen sie wohl, dass hier in puncto Gerechtigkeit einiges aus dem Ruder läuft. Würde man sonst den Versuch unternehmen, die Wahrheit zu verschleiern?

Der SPD-Landtagsabgeordnete Reinhold Gall hat im September 2006 in einer Landtagsanfrage bei der Landesregierung nachgefragt, "wie viele Fälle von Entlassungen aus dem Polizeidienst aufgrund der Befristung der Zeitverträge auf 5 Jahre nach den 'Sonderregelungen für Zeitangestellte, Angestellte für Aufgaben von begrenzter Dauer und für Aushilfsangestellte' (SR 2 y BAT) vorgenommen wurden, bzw. bis Ende des Jahres vorgenommen werden". Die Antwort des Innenministeriums: "Von insgesamt 546 befristeten Arbeitsverhältnissen bei den Polizeidienststellen und bei den Abteilungen 6 - Landespolizeidirektion - der Regierungspräsidien können im Jahr 2006 insgesamt sechs Beschäftigungsverhältnisse wegen des Ablaufs der 5-Jahresfrist nicht verlängert werden."

Hoppla, nur sechs Fälle im Jahr 2006? Und das landesweit? Das kann gar nicht sein, denn beim PP Mannheim, beim PP Karlsruhe und bei der PD Heidelberg wurden jeweils zwei Beschäftigungsverhältnisse nicht verlängert, bei der PD Mosbach waren es sogar drei. Macht zusammen neun. Und das wohlgemerkt schon allein bei vier von insgesamt 37 Kreisdienststellen (Präsidien/Direktionen) plus vier Landespolizeidirektionen. Wie kommt es zu dieser nicht unerheblichen Diskrepanz? Ganz einfach: Vom Innenministerium sind alle auslaufenden Befristungen bis Ende September (!) gemeldet worden, das Gros der Verträge lief aber erst im vierten Quartal aus. Traut man sich nicht, alles offen zuzugeben? Warum wird getrickst? Steht man nicht zur eigenen, in meinen Augen inhumanen Personalpolitik?

Die warmen Worte, die Oettinger in seiner Neujahrsansprache fand, sind vollkommen nutzlos, solange er in der Praxis das genaue Gegenteil tut. Sie sollen dem Bürger lediglich suggerieren, der Ministerpräsident setze sich für den Erhalt von Arbeitsplätzen ein. Die Realität wird hingegen so gut es geht verschleiert. Im Jahr 2005 forderte Oettinger im Bundestagswahlkampf seine Partei auf, "den Bürgern ehrlich und detailliert zu sagen, was wir nach der Wahl machen wollen". [1] Die Forderung nach Wahrheit hört sich zumindest schön an. Jetzt muss Oettinger seinen eigenen Anspruch bloß noch selbst einlösen. Oder gilt diese Forderung nur für andere?

Neujahrsansprache von Günther H. Oettinger  PDF-Datei [32 kb]

Landtagsanfrage und Antwort der Landesregierung  PDF-Datei [101 kb]

----------

[1] Die ZEIT Nr. 25/2005