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09. Februar 2007, von Michael Schöfer
Was für ein Verfassungsminister


Wolfgang Schäuble (CDU) ist immer für eine Überraschung gut. Vor einem Jahr hat der Bundesinnenminister Schlagzeilen mit der Forderung gemacht, der Staat solle Informationen auch dann nutzen, wenn sie möglicherweise unter Folter erlangt worden sind. Im Januar 2007 wollte er ungeachtet eines anderslautenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts den "Quasi-Verteidigungsfall" in der Verfassung verankern, damit die Luftwaffe trotzdem zivile Verkehrsflugzeuge mitsamt den Passagieren abschießen kann. Und jetzt profiliert er sich mit dem Ruf nach einem Gesetz, das die vom Bundesgerichtshof verbotene Online-Durchsuchung von Privat-PCs gestatten soll. Alles im Namen der Terrorbekämpfung, versteht sich. Der Verfassungsminister hat zumindest Phantasie, wenngleich offenbar wenig Achtung vor fundamentalen Verfassungsgrundsätzen.

Es ist zweifelhaft, ob Schäuble mit seinem letztgenannten Ansinnen überhaupt zum Ziel käme. Nehmen wir einmal spaßeshalber an, es gäbe tatsächlich einen sogenannten Bundes-Trojaner, wie würde man ihn einsetzen? Schließlich müsste man den Trojaner einem Verdächtigen gezielt unterjubeln, vielleicht als E-mail-Anhang. Und der Verdächtige seinerseits müsste so dumm sein, den Trojaner zu aktivieren. Die Hersteller von Anti-Viren-Programmen Kaspersky, F-Secure, G Data, Bitdefender und McAfee beteuern unisono, dass sie bislang weder vom Verfassungsschutz noch vom Innenministerium kontaktiert wurden. "Weiterhin bekräftigen die Unternehmen, dass sie in puncto BKA-Trojaner nicht mit den Behörden kooperieren würden. Unsere Aufgabe ist es, Anwender vor eben diesen Attacken zu schützen, und da machen wir auch keine Ausnahme, wenn das von einer offiziellen Stelle kommt. (...) Unabhängig von der Quelle solcher Tools lassen wir in unseren Antivirus-Produkten keine Hintertüren offen", sagen sie. [1]

Schon von daher ist der Erfolg für die Behörden fraglich. Der Verdächtige wird auf diese Weise unter Umständen sogar vorgewarnt, weil sein Anti-Viren-Programm Alarm schlägt. Ob die deutschen Sicherheitsbehörden eine Hintertür in Windows haben, was der NSA in Bezug auf Vista nachgesagt wird [2], ist zu bezweifeln. Zudem sind die Vorkehrungen gegen staatliche Spionage denkbar einfach. Wäre ich Terrorist, würde ich mein System nicht nur mit einem guten Anti-Viren-Programm und einer Firewall ausstatten, sondern obendrein meinen gesamten Festplatteninhalt oder wenigstens die brisanten Dateien verschlüsseln. Programme dafür gibt es ja zuhauf, etwa Truecrypt, GnuPG-Pack Basics oder GPG4win. Natürlich könnte ich auch ein anderes Betriebssystem (Linux, Mac OS X) benutzen und wäre somit einem für Windows konzipierten Trojaner gegenüber immun.

Die einfachste Möglichkeit ist jedoch die Nutzung eines Virtual-PCs. Mit Virtualisierungssoftware, die es für jedes Betriebssystem gibt, "wird ein kompletter PC virtualisiert bzw. emuliert, das heißt, mit Hilfe einer sogenannten virtuellen Maschine wird ein PC nachgebildet. Dadurch wird es möglich, mehrere Betriebssysteme gleichzeitig auf nur einem PC zu betreiben." [3] Mit dem virtualisierten Gast-System kann ich dann beruhigt ins Internet gehen, ohne dabei Gefahr zu laufen, mein Wirts-System zu infizieren, da es vom Gast-System vollkommen abgeschirmt ist. Wenn ich es genauso sicher, aber ein bisschen umständlicher haben will, starte ich mit einer Live-CD wie Knoppix, sie erfüllt den gleichen Zweck.

Sind Terroristen dumm? Wissen sie nicht, wie man sich relativ leicht gegen Schäubles Bundes-Trojaner schützt? Das ist zu bezweifeln. Vielmehr werden sie derartige Methoden ohnehin schon seit langem nutzen. Andere hochkarätige Straftäter ebenfalls. Es ist daher zu bezweifeln, ob Wolfgang Schäuble, wie er vorgibt, mit der Online-Durchsuchung wirklich bloß den Terrorismus bekämpfen will. Einst wurde im Autobahnmautgesetz vorgeschrieben, die LKW-Mautdaten nur zu reinen Abrechnungszwecken zu nutzen. Das war ursprünglich sogar eine Forderung der CDU, die dem Gesetzentwurf damals ohne diesen Passus nicht zugestimmt hätte. Hintergrund war die Befürchtung, mit den Mautdaten Bewegungsbilder sämtlicher Kraftfahrzeugbenutzer erstellen zu können. Heute würde Wolfgang Schäuble die Mautdaten am liebsten zur Verbrechensbekämpfung nutzen. Wie man sieht, fängt es manchmal ganz harmlos an - und am Ende sehen wir uns maßloser staatlicher Überwachung ausgesetzt.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass derartige Spionage-Programme zu rechtsstaatlich höchst bedenklichen Zwecken benutzt werden. Man erinnere sich nur an den Fall Cicero. "Das Politmagazin 'Cicero' hatte im April 2005 einen Artikel über den jordanischen Extremistenführer Abu Mussab al-Sarkawi und die Terrorgefahr in Deutschland veröffentlicht, und sich dabei auf einen als 'vertraulich' eingestuften Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) gestützt. Wer den Entwurf damals weitergegeben hat, ist bis heute ungeklärt." [4] Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft Potsdam ein Ermittlungsverfahren ein. Vorwurf: Beihilfe zum Geheimnisverrat. Die Redaktionsräume von Cicero sowie die Wohnung des Journalisten Bruno Schirra wurden durchsucht und Computerdateien beschlagnahmt. Der Fall ist momentan beim Bundesverfassungsgericht anhängig, das wohl noch in diesem Jahr darüber entscheiden wird, ob das Handeln der Behörden korrekt war. Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden hat bundesweit Aufsehen erregt, weil man darin eine Gefahr für die Pressefreiheit sieht. In meinen Augen zu Recht. Hätten die Behörden heimlich mit dem Bundes-Trojaner agiert, wäre das Ganze womöglich gar nicht aufgefallen. Wer kann so etwas ausschließen? Niemand. Aber dann sind wir schnell in einer Situation, in der die Funktion der Presse als Korrektiv infrage steht.

Wolfgang Schäuble wird vermutlich weiterhin derartige Vorschläge unterbreiten. Gemeinhin sollte man von ihm, der qua Amt über die Wahrung der Verfassung und der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger zu achten hat, mehr Sensibilität erwarten. Er hat mehrfach gezeigt, dass ihm diese Sensibilität fehlt. In normalen Zeiten eigentlich ein Grund zurückzutreten. Doch was ist heutzutage noch normal?

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[1] PC Professionell Ausgabe 3/2007
[2] siehe Geheimdienst-Hintertür in Microsoft Vista? vom 09.01.2007
[3] Wikipedia, Windows Virtual PC
[4] Spiegel-Online vom 22.11.2006


Nachtrag (27.02.2007):
Das Bundesverfassungsgericht hat die Durchsuchung und Beschlagnahme beim Politmagazin "Cicero" als einen verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Pressefreiheit bewertet. (Az: 1 BvR 538/06) "Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person eines Informanten zu ermitteln, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier." [5] "Nach den Worten des Gerichts sind Journalisten, die vertrauliche Schriftstücke publizieren, zwar nicht von einer Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen ausgenommen. Allein die Veröffentlichung eines Geheimdokuments durch die Presse rechtfertige aber noch nicht die Durchsuchung von Redaktionsräumen oder Wohnungen. Andernfalls hätten es die Staatsanwälte in der Hand, den verfassungsrechtlich garantierten Informantenschutz auszuhebeln." [6]

[5] Die Zeit vom 02.05.2007
[6] manager-magazin vom 27.02.2007