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24. August 2007, von Michael Schöfer
Der Abmahnwahn geht weiter


Stellen Sie sich vor, Sie würden vom Rechtsabteilungsleiter Sigmar Gabriels abgemahnt, weil Sie auf Ihrer Website den Terminus "Bundesumweltminister" verwenden, und nicht, wie es korrekt heißt, "Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit". Jede weitere Verwendung von "Bundesumweltminister" würde Sie dann 5.100 Euro kosten. Oder etwa vom Technischen Überwachungsverein, weil Sie "TÜV-Prüfung" anstatt "Hauptuntersuchung" benutzen. Wahrscheinlich würden Sie zunächst an einen schlechten Scherz glauben und sich angesichts der intellektuellen Bescheidenheit der Abmahnung wundern.

Doch zumindest die Gebühreneinzugszentrale für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (GEZ) scheint ihre Abmahnung wirklich ernst zu meinen. Die GEZ macht sich nämlich derzeit mit einer solchen lächerlich. [1] Wie der Heise-Verlag berichtet, wurde das Web-Portal "akademie.de" von der GEZ wegen der Verwendung "nicht existenter" oder "falscher" Begriffe abgemahnt und soll nun eine "strafbewehrte Unterlassungserklärung" abgeben. Jede weitere öffentliche Verwendung eines verbotenen Wortes würde "akademie.de" 5.100 Euro kosten.

In der Abmahnung führt die GEZ detailliert auf, welche Begriffe ihrer Ansicht nach falsch und welche richtig sind. So ist beispielsweise der Begriff "GEZ-Anmeldung" nicht korrekt, vielmehr wäre nach Ansicht der GEZ allein "gesetzlich vorgesehene Anmeldung von zum Empfang bereit gehaltener Rundfunkgeräte" zulässig. Auch "GEZ-Gebührenpflicht" sei falsch, richtig sei "gesetzliche Rundfunkgebührenpflicht". Allerdings verwendet die GEZ auf ihrer Homepage teilweise selbst die von ihr als falsch bezeichneten Begriffe. So benutzt sie zum Beispiel ebenfalls den Terminus "Gebührenpflicht" (ohne GEZ) und eben nicht den von ihr als einzig zulässig erachteten "gesetzliche Rundfunkgebührenpflicht". Oder "Anmeldung" anstatt "gesetzlich vorgesehene Anmeldung von zum Empfang bereit gehaltener Rundfunkgeräte".

Das Ganze ist meiner Meinung nach ein Akt unzulässiger Zensur, das Kritiker am Einzugsverfahren der Rundfunkgebühren mundtot machen soll. Das Portal hat nach eigenen Angaben weder illegale Praktiken empfohlen noch erläutert, sondern lediglich Begriffe aus dem allgemeinen Sprachgebrauch benutzt. Das wird durch Beispiele belegt: "Laut Google-Sucherergebnis vom 23. August 2007 finden sich im deutschsprachigen Internet allein die Verbotsbegriffe "PC-Gebühr(en)" auf 37.100 (31.900) Webseiten und die angeblich nicht existente(n) "GEZ-Gebühr(en)" auf 99.500 (225.000) Webseiten", liest man dort.

Der unglaubliche Vorgang zeugt einmal mehr vom ausufernden Abmahnunwesen, das die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit einschränken bzw. den Umsätzen einiger Rechtsanwalts-Kanzleien dienlich sein soll. Wie kann sich überhaupt jemand anmaßen anderen vorzuschreiben, welche Begriffe verwendet werden dürfen und welche nicht? Schließlich ist die Verwendung der deutschen Sprache keiner Aufsicht respektive Genehmigung unterworfen (vom Gebrauch geschützter Markennamen durch Wettbewerber oder der Anwendung strafrechtlich relevanter Termini, etwa Beleidigungen, einmal abgesehen). Rechtlich ist die Position der GEZ vollkommen haltlos. Es kann sich eigentlich nur um eine Satire handeln.

Diese Abmahnung liegt auf dem Niveau der Abmahnung des "SEO Blog". Der Autor veröffentlichte einen Beitrag über indische Top-Level-Domains, die mit ".in" enden. Deutsche enden bekanntlich mit ".de". Deswegen wurde er von einer Single-Börse abgemahnt, und zwar wegen "Markenrechtsverletzung nach §§ 14, 15 MarkenG, eine unlautere Wettbewerbshandlung nach §§ 3, 4 Nr. 10 UWG sowie eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB". Der Rechtsanwalt der Single-Börse stellt jedoch nach Angaben des Blog-Betreibers selbst fest: "Sie benutzen die Marke unserer Mandantin (...) als Überschrift für Ihren Artikel. Gleichzeitig befindet sich im gesamten Artikel keinerlei Bezug zu unserer Mandantin." Klar, geht es doch im Beitrag nicht um Partnersuche, sondern u.a. um indische Top-Level-Domains.

Zweifellos haben Abmahnungen ihren Sinn, denn es existieren ja tatsächlich Rechtsverletzungen, durch die Rechteinhaber geschädigt werden. Allerdings hagelt es mittlerweile auch zahlreiche Abmahnungen, die einfach absurd sind oder bloß der Abzocke dienen. Ob künftig der Missbrauch von Abmahnungen mit der zur Zeit im parlamentarischen Verfahren befindlichen Novelle des Urheberrechtsgesetz unterbunden wird, ist aufgrund der schwammigen Formulierungen äußerst fraglich. [2] Wie dem auch sei, die Begrenzung der Abmahngebühren "in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 50 Euro" ist längst überfällig. Sinnvoll wäre darüber hinaus das Verbot der willkürlichen Festlegung des Streitwerts, die das Prozessrisiko des Abgemahnten bewusst in astronomische Höhen treiben soll. Den Rest müssen dann die Gerichte erledigen.

Wenn nicht, beklagen wir womöglich bald amerikanische Zustände. Wohin das führen kann, hat Edward N. Luttwak in seinem Buch "Weltwirtschaftskrieg" beschrieben: "Die Firma Caterpillar mußte eine Geldstrafe von 5,8 Millionen Dollar und eine Entschädigung von 5,9 Millionen Dollar zahlen, weil der Fahrer eines von ihr hergestellten Frontladers bei einem Unfall schwer verletzt worden war. Der Frontlader war umgekippt. Zufällig hatte Caterpillar gerade diesen Fahrzeugtyp mit einem Schutzrahmen ausgestattet, der ein Umkippen verhindern sollte. Man war sich einig, daß diese Vorrichtung den Unfall hätte verhindern können, doch leider hatte der Arbeitgeber den Verunglückten angewiesen, sie abzumontieren, damit die Maschine auch in engen Schiffsladeräumen eingesetzt werden konnte. Der Unfall hatte sich allerdings in einer großen Lagerhalle ereignet, wo der Schutzrahmen beim Rangieren nicht weiter gestört hätte. Dennoch schloß sich das Gericht der Entscheidung der Jury aus Südtexas an, das (unnötige) Entfernen der Schutzvorrichtung habe in diesem Fall keine Rolle gespielt. Folglich machte es nicht den Arbeitgeber, der sie abmontieren ließ, sondern die Firma Caterpillar für den Unfall verantwortlich." [3]

Sie denken jetzt vielleicht, hier hat das Gericht den gesunden Menschenverstand außer Acht gelassen. Richtig. Und wie beurteilen Sie die o.a. Abmahnungen?

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[1] Heise-online vom 23.08.2007
[2] vgl. hierzu c't 18/2007, Kai Mielke, Abmahnung zum Spartarif, Seite 160
[3] Edward N. Luttwak, Weltwirtschaftskrieg, Reinbek bei Hamburg 1994, Seite 302


Nachtrag (26.08.2007):
Laut Spiegel-Online ist die GEZ "der Meinung, die Behauptungen in den Artikeln auf Akademie.de würden auf einem falschen 'Verständnis von Gesetzestext und -systematik beruhen', seien daher falsch und zu unterlassen." Seit wann ist in Deutschland ein abweichendes Verständnis von Gesetzestexten verboten? Seit wann muss man für ein vermeintlich falsches Verständnis bezahlen. Und seit wann darf die GEZ darüber befinden, was falsch und was richtig ist? Liebe Rechtsanwälte, wappnet Euch, denn ein falsches Verständnis von Gesetzestexten ist - zumindest laut GEZ - abwahnwürdig. Wenn Ihr noch einmal versucht, Euere Mandanten vor Gericht mit einer anderen Rechtsauslegung als die der Staatsanwaltschaft zu verteidigen, drohen Euch "erhebliche Kosten". Willkommen in Absurdistan.
Übrigens, auch tagesschau.de benutzt den laut GEZ-Neusprech (Orwell) verbotenen Begriff "GEZ-Gebühren".

Nachtrag (15.09.2007):
Der SWR, der die GEZ vertritt,  gibt keine Ruhe und will nach einem Bericht von Spiegel-Online die Auslegung eines Abschnitts im fünften Artikel des Rundfunkgebühren-Staatsvertrags verbieten. "Jetzt geht es um die Frage: Darf man Rechtsmeinungen veröffentlichen?" Es wird immer grotesker.

Nachtrag (20.04.2008):
Der Deutsche Bundestag hat am 11.04.2008 das Gesetz zur Umsetzung der EU-Durchsetzungs-Richtlinie verabschiedet. "Künftig sollen bei einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs die erstattungsfähigen Anwaltsgebühren für die Abmahnung nicht mehr als 100 Euro betragen." [4] Ob der Abmahnwahn damit endlich beendet ist, wird man sehen.

[4] Bundesministerium der Justiz, Pressemitteilung