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24. September 2007, von Michael Schöfer
Über Wolfgang Schäuble kann man...


...zu Recht geteilter Meinung sein. Schließlich überschreitet der Bundesinnenminister mit seinen Vorschlägen nach Ansicht vieler Zeitgenossen häufig die vom Grundgesetz gezogenen Grenzen. Deshalb braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn Schäuble kräftig durch den Kakau gezogen wird, u.a. durch die vor allem in der Blogosphäre kursierende, satirisch gemeinte Protestwelle namens "Stasi 2.0". Darüber, ob die Kritik am Verfassungsminister nicht ihrerseits überzogen ist, kann man sicherlich ebenfalls geteilter Meinung sein. Insbesondere das dazugehörige Logo ist hierbei umstritten, suggeriert es doch Schäubles Nähe zu den Methoden des Staatssicherheitsdienstes der DDR.

In einer Demokratie ist Protest erlaubt, ja zum Funktionieren des Gemeinwesens geradezu unerlässlich. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 30.09.2003 (Az: VI ZR 89/ 02) festgestellt, dass man an Satire keinen allzu engen Maßstab anlegen darf und sie selbstverständlich den Schutz des Art. 5 GG (Meinungsfreiheit) genießt. Es sei die Eigenheit von Satire, "mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten", sagt das Gericht. Allerdings: "Werden unwahre Aussagen nicht als fiktive oder karikaturhafte Darstellung erkennbar, ist die Meinungsfreiheit nicht geschützt; die Satire kann dann als 'Schmähkritik' und damit als üble Nachrede verstanden werden, bei der das Persönlichkeitsrecht greift. 'Von einer Schmähkritik könne nur die Rede sein, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik persönlich herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll', so ein Urteil des Bundesgerichtshofs (VI ZR 51/99 vom 7. Dezember 1999)." [1]

Folgerichtig ist auch für das Landgericht Karlsruhe harsche Kritik am politischen Gegner zulässig. "In der Politik wehe heute unter Umständen ein härterer Wind, hier werde auch 'überspitzt formuliert'. Insofern sei in diesem Kontext der Meinungsäußerung ein höheres Gewicht beizumessen als den Persönlichkeitsrechten." Nach Ansicht des Gerichts greift in diesem Fall das im Grundgesetz garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung. Geklagt hatte der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion von Baden-Württemberg, Stefan Mappus, der dem SPD-Landtagsabgeordneten Thomas Knapp folgende Behauptung verbieten wollte: "Stefan Mappus fischt am rechten Rand. Wäre die Erde eine Scheibe, würde Mappus über den Rand fallen, so weit rechtsaußen steht er schon." [2] Entsprechend urteilte das Amtsgericht Hamburg in der Sache Sigmar Gabriel gegen Mein Parteibuch. Das Urteil hat die Anwaltskanzlei des Beklagten im Volltext dokumentiert. Bei dem strittigen Beitrag auf mein-parteibuch.com handelte es sich dem Gericht zufolge "um eine Veröffentlichung (...), die sich in satirischer Form und in einem unmittelbaren zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem aktuellen politischen Tagesgeschehen auseinandersetzte". Dies sei rechtmäßig, befand das Gericht.

Angesichts dessen verwundert es schon sehr, wenn ein Student wegen des "Anfangsverdachts auf Beleidigung" von der Polizei aufs Präsidium mitgenommen wird, weil er das "Stasi 2.0"-Logo an seinem Auto angebracht hatte. Die Polizei beschlagnahmte das Bild, die Staatsanwaltschaft kündigte Strafanzeige an. [3] Mit Recht weist netzpolitik.org auf den Paragraph 194 StGB hin, wonach Beleidigungen "nur auf Antrag verfolgt" werden. Wohlgemerkt auf Antrag des Geschädigten, in diesem Fall von also Wolfgang Schäuble. "Die Tat kann jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden", sagt das StGB unmissverständlich. Da Beleidigung somit kein Offizialdelikt ist, kann die Staatsanwaltschaft von sich aus gar kein Ermittlungsverfahren einleiten, sondern erst wenn der Bundesinnenminister Anzeige erstattet.

Zuweilen sind die Staatsorgane etwas übereifrig, insbesondere wenn es sich um Menschen auf der linken Seite des politischen Spektrums handelt. Bekanntlich schießen sie dabei manchmal weit übers Ziel hinaus und müssen höchstrichterlich zurückgepfiffen werden. [4] Die Reaktion auf das "Stasi 2.0"-Logo scheint in diese Kategorie zu fallen. Nicht alles, was aus der Sicht der Polizei oder der Staatsanwaltschaft politisch zu beanstanden ist, ist illegal. Sogar in Bayern darf man über die CSU herziehen - selbst wenn das einigen Staatsdienern nicht gefällt. Die Loyalität gilt nämlich der Verfassung, nicht einer bestimmten Partei oder politischen Auffassung. Von daher ist die Maßnahme der Münchner Polizei völlig unverständlich. Will man zulässigen Protest kriminalisieren? Der Verdacht liegt nahe.

Ich persönlich halte die Vorschläge von Wolfgang Schäuble unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für brandgefährlich. Und wenn jemand diese Meinung teilt und sie durch das "Stasi 2.0"-Logo in einer zugegebenermaßen überspitzten Weise zum Ausdruck bringt, ist das in meinen Augen eine zulässige Satire, die unter den Schutz der Meinungsfreiheit fällt. Im vorliegenden Fall wäre mithin mehr Sensibilität und Souveränität im Umgang mit Kritik durchaus angebracht gewesen.

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[1] Wikipedia, Satire, Situation in Deutschland seit 1949
[2] ka-news.de vom 01.07.2007
[3] siehe etwa gulli, Küchenkabinett, dataloo oder süddeutsche/jetzt.de
[4] siehe Stuttgarter Juristen hatten sich verrannt
vom 16.03.2007