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15. September 2006, von Michael Schöfer
Respekt, Frau Merkel


Bundeskanzlerin werden ist schwer. Bundeskanzlerin sein dagegen noch viel mehr. Vor allem in einer großen Koalition, die von einer Riege ehrgeiziger CDU-Ministerpräsidenten in die Zange genommen wird. Gleich vorweg: Ich werde auch künftig nicht in den Angie-Bewunderer-Club eintreten, weil ihre Politik nun mal nicht meinen Vorstellungen entspricht. Hauptsächlich auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dennoch muß ich zugeben, daß ich Angela Merkel nicht so schlecht finde, wie - laut Umfrage - viele andere Bundesbürger. Insbesondere ihre klaren Äußerungen zur Menschenrechtspolitik haben mir Respekt abgenötigt. Das war von der CDU-Bundesvorsitzenden in dieser Deutlichkeit nicht zu erwarten, üblicherweise ist die Union nämlich gegenüber der westlichen Vormacht ziemlich kleinlaut. Die geheimen CIA-Gefängnisse im Ausland sowie das US-Gefangenenlager Guantánamo seien "nicht vereinbar mit meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit", sagte sie am 11.09.2006. (...) Merkel fügte hinzu, man müsse "angemessene Antworten finden, wie wir den Terroristen begegnen, ohne unsere fundamentalen Prinzipien und Grundwerte in Frage zu stellen". [1] Wenige Tage später nahm sie bei einem Treffen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao dessen Menschenrechtspolitik aufs Korn. Sie habe deutlich gemacht, sagte sie auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, daß Menschenrechte ihrer Ansicht nach "unveräußerlich sind und überall gelten". Auch die Pressefreiheit sei für sie ein "ganz wichtiger Punkt", betonte Merkel. [2] Damit hat sie in meinen Augen durchaus Führungs- und Charakterstärke bewiesen. Andere an ihrer Stelle hätten hier vermutlich feige den Schwanz eingezogen. Ungeachtet der sonstigen Gegensätze kann ich also sagen: Respekt, Frau Merkel.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 11.09.2006
[2] Frankfurter Rundschau vom 15.09.2006