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06. Oktober 2006, von Michael Schöfer
Ihr Tölpel...


...möchte man der Bundesregierung zurufen, aber als zivilisierter Zeitgenosse äußert man sich natürlich moderat. Doch im Kern trifft der Vorwurf genau ins Schwarze. Dem Kabinett Merkel ist es nämlich mit der soeben beschlossenen Gesundheitsreform gelungen, sämtliche Schichten der Bevölkerung gegen sich aufzubringen. Die Bundeskanzlerin spricht zwar von einem großen Erfolg, allerdings helfen in diesem Fall nicht einmal die üblicherweise gut funktionierenden verbalen Täuschungsmanöver. Merkel erlebt gerade ihr propagandistisches Waterloo. Das Bürokratiemonster Gesundheitsreform wird vom Volk als fulminanter Reinfall bewertet, bis auf die Urheber selbst bezeichnet sie kaum jemand als gelungen. Insbesondere Arbeitnehmer und Erwerbslose müssen deutliche höhere Gesundheitskosten befürchten.

Dabei ist die Gesundheitsreform ist nicht das einzige Vorhaben mit sozialer Schieflage. Unternehmen werden steuerlich entlastet, Verbraucher dürfen sich hingegen auf eine dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung freuen. Das einkommensabhängige Elterngeld begünstigt Besserverdienende, sozial Schwache wären mit dem bisherigen Bundeserziehungsgeld wesentlich besser gefahren. Weitere Grausamkeiten sind in der Pipeline: Aufweichung des Kündigungsschutzes, Rente mit 67, erneute Verschärfungen bei Hartz IV etc. Haben die Regierungsparteien in der Vergangenheit nicht ständig die Entlastung des Faktors Arbeit propagiert? Gelobten sie nicht andauernd, sich stärker für Bürokratieabbau einzusetzen? Beklagte man nicht permanent die eklatante Nachfragemisere auf dem Binnenmarkt? Wollte man nicht ursprünglich die nach wie vor anwachsende Kinderarmut reduzieren?

"Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern", mag Merkel in Adenauer'scher Kontinuität denken. Doch die Quittung folgt auf dem Fuße: CDU und CSU sacken in der Sonntagsfrage ("Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären...") auf 30 Prozent ab. Neuwahlen würden die Mehrheitsverhältnisse indes kaum ändern. Die Koalitionsparteien befinden sich deshalb buchstäblich in einer babylonischen Gefangenschaft, zu der es gegenwärtig keine praktikable Alternative gibt. Weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb bekäme eine Mehrheit. Und Schwarz-Gelb-Grün (Jamaika) oder Rot-Gelb-Grün (Ampel) böten dem geneigten Publikum vermutlich einen noch höheren Unterhaltungswert. Vorläufig bleibt also nichts anderes übrig, als weiterwursteln wie bisher, denn auf ein Damaskuserlebnis der Regierenden ist nicht zu hoffen. Bedauerlicherweise.