Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



03. Dezember 2006, von Michael Schöfer
Back to the roots?


Bündnis 90/Die Grünen haben gerade auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz beschlossen, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um mindestens 80 Prozent zu senken, in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts soll dann sogar auf eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energieträgern umgestellt werden. Die Umweltpartei kehrt damit demonstrativ zu einer früheren Politikrichtung zurück, die sie zwar einerseits stark werden, aber andererseits in der rot-grünen Regierungskoalition (1998-2005) auch schmerzlich vermissen ließ. Die Diskussion, ob dieser Beschluß sinnvoll ist oder nicht, ist müßig, die Bedrohung durch den anthropogenen Treibhauseffekt drängt die Menschheit in der Tat zur Umsetzung derart radikaler Maßnahmen. Darin stimmen die meisten Klimaforscher überein. Als Strategie mag "back to the roots" für eine reine Oppositionspartei, die die Grünen mittlerweile sind, durchaus ratsam erscheinen, doch ist der Strategiewechsel auch glaubwürdig? Das muß sich erst noch herausstellen. Während ihrer Regierungsbeteiligung haben die Grünen jedenfalls enttäuschend schnell einst eherne Positionen geräumt, und das hat ihnen mächtig geschadet. Ob sie künftig wirklich anders handeln, sollten sie abermals einer Regierung angehören, ist offen. Einstweilen kann man es ihnen bloß glauben. Parteichefin Claudia Roth hat etwa auf der Bundesdelegiertenkonferenz schwarz-grünen Bündnisspekulationen eine Absage erteilt. Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. In Baden-Württemberg war nach der letzten Landtagswahl die Enttäuschung, daß es nicht zu einem schwarz-grünen Bündnis gekommen ist, deutlich zu spüren. Trotz aller entgegengesetzten Beteuerungen, mit Ministerpräsident Oettinger hat man dort zumindest heftig geflirtet. Schon vergessen? Vom Parteitag wurde übrigens das von der Parteispitze empfohlene neue Parteilogo verworfen, einen Tag später war es dennoch auf der Website der Partei zu sehen. Dieser Vorgang symbolisiert, wie sehr bei den ursprünglich basisdemokratischen Grünen von oben nach unten gedacht wird. Offenbar hat man die Zustimmung der Basis nur für eine Formalie gehalten und eine Ablehnung gar nicht einkalkuliert. Mit anderen Worten: Nur die Fassade erneuern wird wohl kaum ausreichen, es geht vielmehr um die Substanz.