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14. Mai 2007, von Michael Schöfer
Realitätsverlust


Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, der Spitzenkandidat der Bremer SPD, Bürgermeister Jens Böhrnsen, betonte am Wahlabend: "Wir haben die Wahl gewonnen. Wer 13 Punkte vor den anderen ist, der ist Sieger." Und das, obgleich seine Partei laut vorläufigem amtlichen Endergebnis bei der Bürgerschaftswahl 5,49 Prozent verloren hat. [1] Sehen so Sieger aus? Wohl kaum. Aber auch Böhrnsens bisheriger Koalitionspartner, die CDU, leidet unter einem ähnlichen Realitätsverlust. Der Bremer CDU-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp macht nämlich vor allem die SPD für die Schlappe seiner Partei (minus 4,1 Prozent) verantwortlich. Es sei eben ein Fehler gewesen, dass sich die Sozialdemokraten nicht auf eine Fortsetzung der großen Koalition festgelegt hätten. Im Übrigen habe diese seiner Meinung nach erfolgreich gearbeitet. Nun, das sahen die Wähler offenbar anders: Zusammen verloren die Regierungsparteien gegenüber der letzten Wahl 37.790 Stimmen, die SPD 21.816 und die CDU 15.974.

Solche Politikerphrasen, die ersichtlich an der Realität vorbeigehen, sind im Grunde unerträglich. Da werden Niederlagen in Siege umgedeutet, bloß um dem Wahlvolk abermals Sand in die Augen zu streuen. Immer in der Hoffnung, es wird schon irgendwie funktionieren. Man muss abwarten, ob die SPD die notwendigen Konsequenzen zieht und zum eigentlichen Wahlsieger, den Grünen (plus 3,63 Prozent), umschwenkt. Bundesweit fehlt es der SPD nach wie vor an sozialem Profil. Wenn heute Bundestagswahlen wären, bekäme sie nach den Umfragen der Wahlforschungsinstitute zwischen 26 (Forsa) und 31 Prozent (Infratest dimap) - erheblich weniger als die ohnehin wenig schmeichelhaften 34,2 Prozent bei der letzten Bundestagswahl (18.09.2005). [2] Der von ihr betriebene Sozialabbau, insbesondere die entgegen ihrem Wahlversprechen betriebene Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (Hartz IV), wird der SPD offensichtlich immer noch nicht verziehen. Zu Recht, wie ich meine. Bremen böte zwar Anlass, den Kurs zu ändern, doch zu mehr als zu kosmetischen Korrekturen dürfte es dabei kaum reichen. Die Sozialdemokraten werden deshalb aus ihrem Tief nicht so schnell herauskommen.

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[1] Statistisches Landesamt Bremen
[2] Sonntagsfrage Bundestagswahl


Nachtrag (15.05.2007):
Hoppla, da ist mir doch tatsächlich ein Fehler passiert: Die eigentlichen Wahlsieger sind nicht die Grünen, sondern ist ohne Zweifel "Die Linke" mit einem Plus von 6,7 Prozent - wenngleich das nicht zu einer Koalition unter ihrer Beteiligung führen dürfte. Dennoch, der Erfolg der Linken ist unbestreitbar, Zahlen lügen nicht.
Special thanks für diesen Hinweis an K. R.