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02. Mai 2007, von Michael Schöfer
Wartet erst mal ab...


...dann sehen wir weiter. Oberflächlich betrachtet scheint sich Deutschland ökonomisch zu erholen: die Arbeitslosigkeit sinkt, die Steuereinnahmen sprudeln, die Unternehmen haben volle Auftragsbücher. Der Optimismus schlägt zur Zeit Purzelbäume. Um 2,7 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im letzten Jahr gewachsen. Für das laufende Jahr erwartet die Bundesregierung 2,3 Prozent, im darauffolgenden Jahr 2,4 Prozent. [1] Lustig ist, dass praktisch alle vom starken Aufschwung völlig überrascht wurden. So sagte etwa der Jahreswirtschaftsbericht 2006 ein Wachstum von lediglich 1,4 Prozent voraus - eine Abweichung von immerhin 1,3 Prozentpunkten. [2] Mit anderen Worten: Die Auguren lagen um nahezu 50 Prozent daneben. Hinterher ist man immer schlauer, doch offenbar tappen selbst die Experten häufig im Dunkeln. Noch im Januar prognostizierte der Jahreswirtschaftsbericht 2007 magere 1,7 Prozent Wachstum [3], mittlerweile hat man dies (siehe oben) korrigiert. Für den Hochmut, mit dem uns die meist neoliberalen Ökonomieprofessoren allzu häufig gegenübertreten, gibt es folglich überhaupt keinen Anlass, dazu sind ihre Vorhersagen viel zu schlecht.

Man kann bekanntlich nicht nur zu pessimistisch sein, sondern auch zu optimistisch. "Deutsche in Kauflaune", jubelte beispielsweise im März das Marktforschungsinstitut GfK. [4] Und wie sieht die Realität aus? Jetzt stellt sich heraus, dass die Umsätze des Einzelhandels im ersten Quartal 2007 gegenüber dem Schlussquartal 2006 real um 2,9 Prozent gesunken sind. [5] Der Mehrwertsteuerschock ist also nach wie vor eine konkrete Gefahr. Wenn wir uns nicht noch mehr vom zuweilen äußerst labilen Export abhängig machen wollen, müssen wir etwas für die Binnenkonjunktur tun. Ohne eine spürbare reale Kaufkraftsteigerung ist das allerdings unmöglich. Hier, anhand von harten ökonomischen Fakten, entscheidet sich der Konjunkturverlauf. Er orientiert sich keinesfalls an zweifelhaften Prognosen über die angebliche Kauflaune der Verbraucher, wichtig ist vielmehr die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Gerade hier, Stichwort "gesetzlicher Mindestlohn", Stichwort "Tarifabschlüsse", entscheidet sich, ob der Aufschwung Substanz hat oder bloß ein Strohfeuer ist. Kurzum, abgerechnet wird wie immer am Ende.

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[1] BMWI, Pressemeldung vom 25.04.2007
[2] BMWi, Jahreswirtschaftsbericht 2006, PDF-Datei mit 2,2 MB
[3] BMWi, Jahreswirtschaftsbericht 2007, PDF-Datei mit 1,4 MB
[4] Frankfurter Rundschau vom 29.03.2007
[5] Frankfurter Rundschau vom 02.05.2007